In der Finanzwelt klafft eine große Kluft zwischen Forschung und Praxis. Forschungsergebnisse der Wissenschaft werden außerhalb der akademischen Welt kaum oder gar nicht beachtet. Ein Dialog zwischen Forschern und Praktikern findet so gut wie nie statt.
In einem aktuellen Kommentar schreibt etwa Charles D. Ellis vom Whiteboard Instutite Cambridge, Massachusetts, über den Einfluss kritischer Forschungsergebnisse: „Aktive Manager waren sich sicher, dass kein Geschäftsmann aus der Praxis von der Existenz der obskuren akademischen Zeitschriften wusste, geschweige denn diese las, in denen die Sonderlinge ihre Artikel lesen, veröffentlichen und sich gegenseitig zitieren.“ Weiter zitiert Ellis noch sehr treffend den Philosophen George Berkeley, der gesagt hat: „Macht ein mitten im Wald umfallender Baum Geräusche, wenn niemand da ist, der sie hören kann?“
Kritische Forschungsergbnisse werden von der Praxis im Normalfall ebenso ignoriert wie nützliche Impulse. Damit hat Herr Ellis leider recht. Wissenschaft und Praxis sind in der Finanzwelt wie zwei unterschiedliche Planeten, die nebeneinader aber völlig unabhängig existieren. Anstatt voneinander zu profitieren, arbeiten beide möglichst getrennt. Erkenntnisse der einen werden von den anderen nicht wahrgenommen und umgekehrt.
Doch woran liegt das? Warum gibt es so wenig Kooperationen zwischen Wissenschaft und praktischer Anwendung? Viele Forschungsprojekte und Veranstaltungen werden schließlich von Finanzunternehmen, Banken, Sparkassen und Versicherungen gesponsert und unterstützt. Liegt es also an einer zu unterschiedlichen Sprache der beiden Bereiche? Schrecken die Praktiker vor den vielen mathematischen Formeln und komplizierten Schreibweisen der Wissenschaftler zurück? Und die Forscher, blicken sie vielleicht herab auf die Unwissenden aus der Praxis? Tatsache ist, dass beide ihre Ideen, Meinungen und Ergebnisse ihrer komplexen Arbeit in völlig unterschiedlichen Medien mitteilen. Die Wissenschaft publiziert in Fachzeitschriften wie dem Journal of Finance, Journal of Economics, Journal of Financial Economics, Journal of International Economics, und so weiter und so fort. Die Praktiker haben im seltensten Fall jemals eine Ausgabe einer dieser Fachjournale je auch nur in Händen gehalten, geschweige denn gelesen. Sie bevorzugen internationale Zeitschriften wie Bloomberg Businessweek, The Economist, Money, Fortune, Harvard Business Review oder im deutschsprachigen Raum auch gerne die Börsen-Zeitung, Der Aktionär, Focus Money oder ähnliche Zeitschriften, die alles andere als wissenschaftlich aktuelle Themen bunt und einfach zu lesen aufarbeiten.
Doch auch bei Fachveranstaltungen vermischen sich Wissenschaft und Praxis eher selten. Ich war im Juni auf der Konferenz für Experimental Finance. Unter den mehr als hundert Teilnehmern war ich tatsächlich die Einzige, die nicht an einer Universität forschte, sondern aus der Praxis kam. Ich war der exotische Außenseiter. Die Themen und Forschungsergebnisse, die vorgestellt und präsentiert wurden, waren allesamt sehr interessant und vielfach auch für die Praxis relevant. Die Key Note sprach Vernon Smith, ein Nobelpreisträger! Die ganze Konferenz war ausgesprochen inhaltsstark. Um Welten hochwertiger, als viele der Fachveranstaltungen der Praktiker, bei denen die Vortragenden leider viel zu oft einfach nur Werbung für ihre Arbeitgeber und deren Produkte machen. Von den Akademikern wollte mir keiner das neueste Anlageprodukt oder die aktuellste Software verkaufen, sondern nur Wissen vermitteln. Und obwohl die Veranstaltung absolut werbefrei und dabei hoch aktuell war, hat sie mich nur einen Bruchteil dessen an Teilnahmegebühr gekostet, was die großen kommerziellen Anbieter für so manche Verkaufsveranstaltung verlangen. Warum das nicht von mehr Praktikern in Anspruch genommen wird? Im Gespräch mit den Wissenschaftlern erhielt ich zudem immer wieder die frustrierte Klage, die ganzen Mühen seien umsonst, denn niemand aus der Praxis interessiere sich dafür. Dabei waren viele der Themen sehr gute Impulsgeber und könnten die tägliche, praktische Arbeit durchaus bereichern.
Eine engere Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis könnte der Finanzwelt gut tun. Viele Wissenschaftler sind alles andere als trockene Theoretiker. Sie haben tatsächlich interessante Ansätze und Ideen. Und nicht alle Praktiker sind hirnlose Unwissende. Eine gegenseitige Annäherung könnte der Finanzwelt in Europa neue Impulse geben, und die Praxis könnte Wissenschaft und Forschung mit ihren Erfahrungen bereichern. Ich bin davon überzeugt, dass beide Bereiche von einer stärkeren Kooperation und einem vermehrten Austausch profitieren würden.