Derivate sind nicht mehr aktuell? Mitnichten!
Sie denken, Derivate wären kein aktuelles Thema mehr? Niemand kauft dieses Teufelszeug mehr? Der Markt und der Handel für Derivate sind tot?
Es stimmt, dass bestimmte Gruppen wie Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen heute wenig Derivate wie Swaps, Optionen, Caps und Floors als Einzelprodukt kaufen. Das liegt weniger an bekannt gewordenen Skandalen zu Spekulationen mit Swaps als an strengeren Regulierungsvorschriften und Clearing Regeln. Derivate werden trotzdem noch rege gehandelt. Und zwar in verbriefter Form. Sie haben sozusagen ein Gewand angelegt. Sie sind nicht mehr nackt, sondern bunt bekleidet. Ihre Form mag dadurch verschleiert sein, doch darunter sind sie noch immer die selben, altbekannten Optionen, Swaps, Caps, Floors, Swaptions und anderen Finanzderivate.
Derivate gehören schon lange zu unserem Alltag
Finanzderivate sind keine neue Erfindung. Sie begleiten die Akteure des Kapitalmarkts bereits seit Jahrhunderten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sie sich rasant weiterentwickelt und sind zu wichtigen Bausteinen einer Vielzahl an Produkten geworden. Wussten Sie, dass Zertifikate auf Aktien aus einer Reihe von Optionen bestehen? Oder das synthetische Festzinsdarlehen, das Sie für Ihren Betrieb oder die Gemeinde abgeschlossen haben, einen Swap enthält? Selbst der ETF (Exchange Traded Fund), in dem Sie jeden Monat etwas Geld für Ihre Kinder oder Enkel ansparen, könnte über einen Total Return Swap nachgebildet werden. Die Zinsobergrenze Ihres variablen Kredits oder die Mindestverzinsung Ihrer Lebensversicherung sind ebenso Derivate wie die Option auf den Erwerb von Aktien in der Unternehmensanleihe, die Sie im Depot haben. Versicherungen arbeiten ständig mit Derivaten, ebenso Fondsgesellschaften, Banken und Unternehmen.
Derivate sind heute wichtiger denn je
Derivate begleiten uns durch den gesamten Kapitalmarkt. Was sich tatsächlich geändert hat, ist die Transparenz. Vor der Finanzmarktkrise 2008 wurden Derivate problemlos einzeln als Bausteine angeboten, gekauft und verkauft. Dann sind die Vorschriften strenger geworden, Dodd-Frank und MIFIR haben kleinere Marktteilnehmer und Kunden durch diverse Hürden und neue Regelungen verdrängt, und der Handel mit Derivaten hat sich auf einen harten Kern großer Banken und Broker konzentriert. Was nicht bedeutet, dass Optionen, Caps, Floors, Forwards und Swaps plötzlich nicht mehr benötigt werden. Ganz im Gegenteil, denn Risikomanagement ist heute ein wichtigeres Thema denn je. Und gerade im Risikomanagement spielen Derivate eine zentrale Rolle.
Derivate sind nicht mehr nackt: Verpackt verkauft sich derzeit besser
Um die strengen Anforderungen an Kapitalhinterlegung, Besicherung durch Collateral, Clearing, Kundeninformation und Meldepflichten überhaupt bewältigen zu können, mussten sich Derivate wandeln. Sie werden heute vielfach in verbriefter Form angeboten. Zertifkate und strukturierte Anleihen sowie strukturierte Kredite sind nunmehr das Mittel der Wahl, ebenso wie ETFs und speziell kreierte Indices. Sie beinhalten genau jene Derivate, die der Kunde benötigt, sei es zur Absicherung, zur Risikosteuerung oder gar zur Spekulation. Der Kreativität sind wie immer kaum Grenzen gesetzt.
Höhere Kosten, weniger Transparenz, schwieriger Aufzulösen
Die neue Verbriefungswelle für Derivate hat aber auch Nachteile. In verbrieften Produkten verpackte Derivate sind weniger transparent. Weniger Transparenz führt automatisch zu höheren Kosten. Schließlich wird jeder Anbieter seine Gebühren so weit wie möglich erhöhen, bis genau zu jenem Punkt, an dem der Käufer gerade noch nicht abspringt.
Ein weiterer Nachteil bei verbrieften Produkten ist die Abhängigkeit vom Emittenten. Ein nicht verbrieftes Derivat lässt sich entweder auflösen oder durch eine entsprechende Gegenposition mit einem anderen Geschäftspartner neutralisieren. Das schafft Konkurrenz und Liquidität, sowie ein gewisses Wohlwollen und korrektes Bewertungsverhalten von Seite der Anbieter. Bei verbrieften Produkten hat der Kunde deutlich schlechtere Karten.
Die Bewertung von Derivaten ist dadurch komplexer geworden
Der Verbriefungstrend für Derivate stellt Kunden wir Unternehmen, Gemeinden, Versicherungen, Versorgungswerke und Fonds vor neue Herausforderungen. Schließlich müssen die eingekauften Produkte in ihrer Gesamtheit aber idealerweise auch in ihren Einzelbestandteilen bewertet werden. Das Zerlegen in die richtigen Teile und deren korrekte Beurteilung von Korrelationen etwa zum Kreditrisiko des Emittenten hat ein zusätzliches Maß an Komplexität geschaffen, mit dem viele Investoren und Kreditnehmer erst lernen müssen umzugehen.
Derivate sind wichtig und werden es auch weiterhin bleiben
Dass Derivate wichtige Elemente zur Risikosteuerung sind, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Regulierung und neue Vorschriften verändern die Marktdynamik und die Art des Angebots, doch der Bedarf wird auch weiterhin vorhanden sein. Schließlich sind Swaps, Optionen & Co bewährte und sinnvolle Bestandteile vieler Strategien. Ob sie nun nackt, in Badehose oder mit dickem Mantel und Kopfbedeckung daher kommen, Option oder Zertifikat heißen, tief im Inneren sind sie immer noch sie selbst. Wer also denkt, er kann sein Derivatewissen getrost rosten lassen, der sollte sich das lieber zweimal überlegen!