Die Boulevardpresse verteufelt sie seit der Finanzkrise 2008 regelmäßig und macht sie für alles in der Finanzwelt verantwortlich, das schief läuft: Derivate. Das ultimativ Böse. Eine diabolische Erfindung. Nur dazu gemacht, die Armen ärmer und die Reichen reicher zu machen. Das Werkzeug böser Spekulanten, fieser Hedgefonds und hinterlistiger Investmentbanken, mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen oder sie zu zerstören. Politiker springen auf den Derivate-sind-Böse-und-Gemein-Zug nur allzu gerne auf. Die Menschen wollen es schließlich hören, dass diese Dinge, die sich hinter dem bösen Wort verbergen, streng reguliert, stark beschränkt und am besten verboten gehören.
Wahrscheinlich kann keiner von ihnen erklären, was Derivate überhaupt sind und wie sie funktionieren, geschweige denn, wofür sie verwendet werden.
Was viele Kritiker mit ihrem oft bestenfalls Halbwissen vergessen: Derivate sind weder gut noch böse, sondern schlicht nur Rechte und Pflichten, die sich von anderen Finanzprodukten ableiten. Sie spielen eine durchaus sehr wichtige Rolle im Risikomanagement unserer Unternehmen, Kommunen, Versicherungen, des Staates und vieler anderer Wirtschaftstreibender. Über Forwards und Futures können Landwirte Preise für ihre Ernte absichern. Die Währungsoption oder der Währungsswap bewahren Ihre Rentenkasse vor Währungsverlusten. Durch den Zinsswap erhält die Kommune in ihren Krediten Planungssicherheit. Der Unternehmer sichert sich Zahlungen in Fremdwährungen ab, der Investmentfonds kauft sich Ausfallversicherungen über Kreditderivate und die Versicherung sichert sich über Put Optionen gegen fallende Kurse ab.
Doch wollte sich jeder nur absichern, hätte der Markt ein Problem. Hier kommen die ach so bösen Spekulanten ins Spiel. Spekulant kann man übrigens sehr schnell werden. Laut Definition ist man bereits spekulativ tätig, wenn man ein Derivat kauft oder verkauft, ohne das entsprechende Gegenrisiko auf der Anlagen- oder Passivseite zu haben. Dabei übernehmen „die Spekulanten“ gerne die Gegenposition derer, die sich absichern wollen. Sie verteilen das Risiko sozusagen im Markt. Ähnlich wie das Versicherungsunternehmen tun. Warum machen Spekulanten das? Weil sie entweder wie bei Optionen und Credit Default Swaps eine Prämie dafür bekommen, oder aber auf einen Gewinn ihrer Position hoffen. Sie wollen damit niemanden in den Ruin treiben und sind auch sonst nicht als Werkzeuge des Bösen tätig. Sie übernehmen einfach das ein oder andere Risiko von jemandem, der sein Risiko in diesem Bereich reduzieren möchte.
Dabei ist der Markt für Derivate deutlich transparenter, liquider, standardisierter und internationaler als es der Versicherungsmarkt jemals sein könnte. Es gibt weltweit einheitliche Markt- und Handelsusancen, einheitliche Standards und ein weltumspannendes Netz an Marktteilnehmern. Das wird gerne von Medien und Politik übersehen.
Denn Derivate sind nicht böse. Zugegeben, sie sind komplex, aber das ist eine Blinddarmoperation für den Laien auch. Trotzdem wird niemand die moderne Chirurgie hinterfragen oder abschaffen wollen, selbst wenn so manches Mal Blut fließt und Operationen schief laufen. So dienen auch Derivate durchaus guten Zwecken und können, richtig verstanden und klug eingesetzt, so manches Unternehmen, Projekt, Kommune oder Land gegen finanzielle Risiken absichern und anderen als Belohnung für ihre Risikoübernahme eine Zusatzrendite erwirtschaften.