In seinem Kommentar für das TIME Magazine für Oktober schreibt Norman Pearlstine über Geschäfte in Asien in den 1980er Jahren: „With low tax rates and limited regulation, Hong Kong was one of the world’s best cities for business.“
Mit seinen niedrigen Steuersätzen und einem geringen Maß an Regulierung war Hong Kong also seiner Meinung nach damals, vor 30 Jahren, der attraktivste Ort weltweit, um Geschäfte abzuschließen. Heute trägt übrigens Singapur diesen Titel, der sogar ganz offiziell von der Weltbank vergeben wird unter dem Titel „Ease of Doing Business„. In diesen Index der Weltbank fließen auch viele andere Parameter ein, wie der Zugang zu elektrischem Strom oder die Möglichkeit, eine Baugenehmigung zu erhalten. Aber der Kommentar von Norman Pearlstine, einem bekannten Chefredakteur internationaler Mediengruppen wie Wall Street Journal, Time Inc oder Bloomberg Businessweek, wirft die Frage auf, ob Steuern und Regulierung einem erfolgreichen Finanzstandort entgegen stehen.
Manches davon leuchtet im Grunde ein. Niemand zahlt gerne Steuern. Zumindest sollten die Abgaben im Rahmen bleiben. Keiner gibt gerne einen Großteil seiner durch harte Arbeit und die Übernahme von Risiko verdienten Einnahmen ab, weder Privatpersonen wie Sie und ich, noch Unternehmen. Durch geringere Steuern, so könnte man argumentieren, verbleiben dem Unternehmen mehr Mittel für Geschäfte. Den durchaus wichtigen Themenblock sozialer Umverteilung blenden wir dafür ausnahmsweise aus. Gleichzeitig allerdings möchten Unternehmen auch eine funktionierende Infrastruktur, politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität, eine hohe Lebensqualität für ihre Mitarbeiter, verlässliche und unabhängige Gerichte und eine sichere Versorgungslage. All das wird in der Regel durch Steuereinnahmen finanziert.
Dann ist da die Sache mit der Regulierung. Ist weniger Regulierung tatsächlich gut für die Wirtschaft? Seit einigen Jahren finden wir uns gerade im Bereich Banken und Finanzdienstleistungen in einer Welt wieder, die Jahr für Jahr stärker reguliert, reglementiert und damit komplizierter wird. Das verunsichert selbst so manchen Experten. Wer hat denn heute noch den Überblick, geschweige denn den Durchblick und das Wissen im Detail, was derzeit wo wie warum und wodurch neu reguliert, verändert, verboten, erschwert, mit neuen Auflagen versehen oder gänzlich neu organisiert wird? Basel III, MaRisk, Dodd Frank, Solvency II, FinRep, Common Reporting Standards, Mifid II, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Compliance, FiMaNoG, EMIR, CRD IV, InvMaRisk, und, und, und. Irgendwann wird selbst dem beherztesten Risikomanager schwindelig, spätestens jedoch beim Blick auf die horrenden Rechnungen von Beratern, Anwälten und Wirtschaftsprüfern. Da kann man es niemandem verübeln, wenn das ein oder andere Geschäft abgelehnt, verschoben oder erschwert wird. Die Angst vor Rekordstrafen ist hoch, und die Kopfschmerzen bezüglich Implementierung all dieser neuen Richtlinien und Standards nehmen eher zu als ab. Auf der anderen Seite begrüßen internationale Unternehmen einheitliche Spielregeln, ein für alle gleiches und faires Spielfeld und möglichst viel wirtschaftliche Sicherheit, Transparenz und faires Verhalten bei ihren Geschäftspartnern.
Wahrscheinlich gilt sowohl bei Steuern als auch bei der Regulierung, dass ein goldenes Mittelmaß gefunden werden muss. Zu wenig Steuern und es bleibt kein Geld für Infrastruktur und soziale, wirtschaftliche und politische Stabilität. Zu hohe Steuern, und Arbeit und Unternehmertum lohnen sich nicht mehr und drohen abzuwandern. Ähnlich verhält es sich mit der Regulierung. Ein zu schwacher regulatorischer Rahmen, und wir riskieren einen Wilden Westen, in dem die Skrupellosen auf Kosten der Vorsichtigen immer mächtiger werden. Zu viel an Regulierung erstickt die Wirtschaft und bestraft Innovation. Welches Land und welche Region also findet in den nächsten Jahrzehnten diesen optimalen Punkt? Die Antwort darauf bleibt spannend.