Wie viel Kaffee haben Sie in den vergangenen Jahren im Schnitt getrunken? Wieviele Schokoriegel genascht? Wie oft gehen Sie im Schnitt während eines Arbeitstages zur Toilette? Planen Sie, in der Zukunft eine gesetzeswidrige Tat zu begehen? Für Antworten auf diese und mehr Fragen wenden Sie sich bitte vertrauensvoll an Ihren Arbeitgeber!
Laut Medienberichten arbeiten bereits mehrere amerikanische Investmentbanken mit dem Unternehmen Digital Reasoning Systems zusammen, welches eine neue Möglichkeit für sich entdeckt hat, mit Big Data Geld zu verdienen. Das Unternehmen entwickelt Programme, mit deren Hilfe Mitarbeiter von Investmentbanken überwacht werden, um ihr Verhalten – es geht angeblich um schädliches Fehlverhalten – bereits vor der Ausführung vorherzusagen und zu verhindern. Emails, Chats, Bewegungsdaten, Videoüberwachung und dergleichen sollen automatisiert ausgewertet werden. Damit soll das System vorhersagen können, ob einzelne Mitarbeiter zukünftig Taten zum Schaden der Bank begehen werden. Es erinnert ein wenig an den Film Minority Report.
Die totale Überwachung von Mitarbeitern ist im Übrigen schon lange keine Utopie mehr. Als ich vor über 10 Jahren begann, in London für amerikanische Investmentbanken zu arbeiten, empfing mich „Big Brother“ bereits mit offenen Armen. Das Gebäude war flächendeckend videoüberwacht, inklusive aller Flure, Büros und Schreibtische, und bereits damals war die Zoomfunktion so gut, dass die Kameras theoretisch lesen konnten, was jemand auf einem Stück Papier an seinem Schreibtisch schrieb. Alle Mitarbeiter mussten ihre ID Karte mit dem RFID Chip unter Androhung einer Abmahnung immer und ohne Ausnahme bei sich tragen. Überall im Gebäude befanden sich Lesegeräte für die RFID Chips, und es wurde nicht nur genau aufgezeichnet, wann jemand kam und ging, sondern auch, durch welche Türen er ging, wohin im Gebäude, und wie oft und wie lange zur Toilette. Um sich innerhalb des Gebäudes an einem der vielen Automaten Getränke oder Snacks kaufen zu können und um in der Kantine zu bezahlen, musste man Geld auf seine ID Karte aufladen, denn nur mit dieser konnte man Essen und Trinken erwerben. So wusste die Bank darüber Bescheid, wie viele Schokoriegel ich am Tag aß, wie oft und mit wem ich Kaffee trank, was ich in der Kantine genau zu mir nahm, und auch, ob und wie oft ich in das kleine, hauseigene Fitnessstudio ging. Was ich genau am Computer arbeitete, wurde klarerweise auch überwacht, und zwar alles. Die Compliance Abteilung konnte sich ohne Vorwarnung auf meinen Computer zuschalten, und gespeichert wurde ohnedies alles, was ich tat. Die Telefonate wurden aufgezeichnet, zudem herrschte ein Verbot für Mobiltelefone. Ob Ton und Bild auch am Schreibtisch mitgeschnitten wurden, kann ich nicht sagen, aber die Telefonanlage war dazu technisch in der Lage mit inkludierter Kamera und Mikrofon.
Wozu die Daten bereits damals gesammelt und verwendet wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Im Zweifel war es wohl zum Schutz der Bank gegen den einzelnen Mitarbeiter. Dass durch diese flächendeckende Überwachung die Skandale um Libor und FX Fixings sowie große Risikopositionen nicht verhindert werden konnten, gibt zu denken. Denn auf Chats und Emails haben die Compliance Abteilungen der großen Banken schon lange uneingeschränkten Zugriff. Doch erst als der Skandal aufflog und an die Öffentlichkeit kam, stellten die Banken einzelne Mitarbeiter an den Pranger. Ob die Verknüpfung von Daten zur Vorhersage möglicher Straftaten hier neue Skandale verhindern wird? Was genau sind die ureigensten Interessen der Investmentbanken, die diese mit so viel Aufwand schützen wollen? Was macht die ständige Überwachung und Angst vor Anschuldigungen in diesem Panoptikum mit den Mitarbeitern? Wie können sich Mitarbeiter wehren, wenn ihnen zukünftiges Fehlverhalten zur Last gelegt wird? Wer hat Zugriff auf all die Daten, und was geschieht damit?
Diese Entwicklung betrifft übrigens nicht nur den Bankensektor. Auch in großen Industrieunternehmen werden die Mitarbeiter ebenso flächendeckend und gründlich überwacht!