BahlConsult GmbH: Ihre Experten für die Bewertung und Analyse von Derivaten, Swaps und strukturierten InvestmentsDer VW Skandal ist weltweit ein heisses Thema. Bisher waren die Autofahrer, der Finanzminister sowie die Umwelt die Opfer des Skandals. Doch in sozialen Netzwerken und diversen Medien häufen sich mittlerweile Werbeannoncen von Anwälten und Beratern, die Aktionäre als die größten Opfer darstellen und ihnen durch Klagen gegen VW den entstandenen finanziellen Schaden des Kursverlusts der Aktie wiederbringen wollen.

Der Aktionär als Opfer? Ist der Aktionär denn nicht in erster Linie Miteigentümer am Unternehmen? Ist ein Miteigentümer nicht auch in gewisser Weise mit verantwortlich, wenn in seinem Unternehmen etwas schief läuft?

Zugegeben, bei VW geht es um Betrug, wobei noch nicht klar ist, wer davon gewusst und den Einsatz der fraglichen Software genehmigt hat. Es geht um eine ganz spezielle Unternehmenskultur, deren Details immer mehr ans Tageslicht kommen. Einer Kultur aus Druck, Angst und Strenge, autoritären Führungspersönlichkeiten und unrealistischen Vorgaben, die nicht kritisiert oder hinterfragt werden durften. Doch geht es nicht auch um mehr hier? Wenn sich Aktionäre plötzlich als Opfer sehen, geht es vielleicht auch um die Frage, wie wir Aktienbesitz heute sehen. Die meisten Aktionäre, die nun schimpfen, haben sich bisher weder für das Unternehmen interessiert noch sich jemals aktiv engagiert. Wie viele Aktionäre gibt es, und wie viele nehmen aktiv an der Hauptversammlung teil? Wie viele Aktonäre lesen die Quartalsberichte und den Geschäftsbericht, haben sich für die internen Strukturen interessiert, die Unternehmenskultur, die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen und das Unternehmen geleitet wurde?

Die Aktie ist ein verbriefter Anteil an einem Unternehmen. Und wenn sich ein Unternehmer weder für sein Unternehmen interessiert oder engagier noch über die Geschäfte informiert, ist er dann nicht sogar mit Schuld, wenn etwas schief läuft? Wie verhält es sich, wenn man als Eigentümer eines Unternehmens die komplette Verantwortung einfach auf ein bezahltes Management abwälzt, ohne sich je selbst einbringen zu wollen, ohne zu kontrollieren, zu kritisieren, zu diskutieren oder aktiv dafür zu interessieren? Sind dann nicht automatisch Fehlentwicklungen eine Folge davon?

Aktien sind heute in den Augen vieler Anleger nur noch anonyme Kapitalanlagen. Einer Verantwortung als Eigentümer eines Unternehmens sind sich die wenigsten Aktionäre bewusst. In den USA gibt es eine gewisse Tradition des „Shareholder Activism“, die vor allem von einigen großen Fonds aktiv verfolgt wird, aber auch von Kleinanlegervereinigungen gepflegt wird. In Europa und vor allem in Deutschland ist davon kaum eine Rede. Vorstände walten und schalten, wie es ihnen beliebt. Die Aufsichtsräte, die eigentlich der Überwachung dienen sollten, werden meist vom Unternehmen selbst bestimmt, und das nur zu oft nicht mit qualifizierten Fachleuten sondern mit ehemaligen Politikern und befreundeten Unternehmern. Mit Leuten eben, denen man noch etwas schuldig ist. Da ist so ein hoch dotiertes Aufsichtsratsmandat gerade recht. Unabhängige und fachlich qualifizierte Kontrolle des Managements im Sinne der Aktionäre/Miteigentümer? Fehlanzeige.

Ist es möglicherweise an der Zeit für ein Umdenken unter den Aktionären? Anstatt sich als passives und dem Geschehen völlig ausgeliefertes Opfer zu sehen, könnten Anleger durchaus eine aktive Rolle einnehmen. Das beginnt bereits mit der Auswahl der Unternehmen, in die investiert wird. Hier sollte am Anfang immer eine sogenannte „Due Diligence“ oder Analyse des Unterehmens stehen. Je nach Möglichkeiten des Einzelnen kann sich heutzutage wirklich jeder bereits im Vorfeld eines Aktienkaufs auch sehr gründlich über ein Unternehmen informieren. Was ist der Unternehmensgegenstand? Wie ist die Geschichte des Unternehmens, die Wertentwicklung, wer sitzt im Management, wie ist die Produktinnovation, die Marktmacht, die Unternehmenskultur, wo liegen die Risiken der Branche, wie ist die Konkurrenzlage, wie sieht es mit dem Verschuldungsgrad aus, wie viel wird investiert, wie ist die Dividendenpolitik, wie langfristig plant das Unternehmen, wie nachhaltig sind die Ziele, und so weiter und so fort.

Zudem sollte jeder, der in eine bestimmte Branche investiert, sich über deren Risiken im Klaren sein. Als Miteigentümer trägt man die Risiken nämlich auch mit. Die Auswirkungen der Produkte sowie die damit verbundenen Risiken wie Strafzahlungen oder auch Reputation sollte man als Aktionär und damit Miteigentümer sowohl finanziell als auch moralisch mittragen können. Wie, Fastfood verursacht Übergewicht? Ein Erdölkonzern hat durch ausgelaufenes Öl hat eine teure Umweltkatastrophe verursacht? Ein Medikament eines Pharmakonzerns hatte erhebliche Nebenwirkungen und die Studien dazu waren nicht ganz sauber? Die vom Chemieunternehmen verkaufte Chemikalie ist krebserregend? Ach, und wie, Tabak verursacht Krebs? Alkohol ist schädlich und kann süchtig machen? Die Automobilindustrie schädigt die Umwelt? Sich einen Anteil an einem Automobilunternehmen zu kaufen, und danach überrascht zu sein, dass mit dem erzeugten Produkt die Umwelt geschädigt wurde, ist in etwa so, als wäre man an einem Rüstungskonzern beteiligt und wundert sich, dass mit den Gewehren und Panzern Menschen ermordet werden.

Wer als Aktionär Miteigentumsrechte an einem Unternehmen hält, hat seinerseits auch gewisse Pflichten und steht gesellschaftlich und moralisch in der Verantwortung. Wenn sich jemand bisher nie aktiv über sein Unternehmen informiert noch aktiv dafür engagiert hat, der sollte im Nachhinein auch nicht das Recht haben, sich als armes Opfer darzustellen und womöglich noch gegen sein eigenes Unternehmen zu klagen. Es wird Zeit, dass sich an der Aktionärskultur etwas ändert und Aktien wieder als das gesehen werden, was sie sind: Miteigentum an einem Unternehmen!