Großbritannien möchte die EU scheinbar so schnell wie möglich verlassen. Ein Dorn im Auge ist den Politikern und Bürgern die Zuwanderung aus dem EU Ausland. Es soll endlich Schluss sein mit dem freien Personen- und Dienstleistungsverkehr!
Die Deutsche Bank hat bereits mitgeteilt, dass sie im Falle eines Brexit einen Teil ihrer Geschäfte aus London abziehen wird. Die Gründe dafür hat sie nicht bekannt gegeben. Wenn man sich die Nationalitäten der wichtigsten Mitarbeiter auf den Handelsfloors ansieht, kann man es sich aber beinahe denken.
Es werden tatsächlich interessante Zeiten anbrechen in der Londoner Finanzszene. Denn auf den riesigen Tradingfloors und Büroetagen der internationalen Banken sind die Engländer in der Minderheit. Die wirklich wichtigen Jobs haben Franzosen, Deutsche, Skandinavier, ect., und es gibt wahrscheinlich sogar mehr Griechen auf den Tradingfloors als Engländer.
Ich kann das auch aus meiner persönlichen Erfahrung heraus bestätigen. In meinen Jahren bei Londoner Niederlassungen von großen Investmentbanken habe ich nur vereinzelt mit gebürtigen Engländern zu tun gehabt. Die Handelstische waren besetzt mit französischen Eonia- und Inflationshändlern, ungarischen, griechischen und indischen Exotenhändlern, französischen und russischen Mathematikern, irischen und deutschen Physikern, deutschen und italienischen Zinshändlern, und so fort. Die Engländer waren hauptsächlich in unterstützenden Funktionen zu finden, wie Floorassistentinnen und viele nachgelagerte Bereiche wie Back- und Middleoffice und IT Support. Die wirklich komplizierten Expertenjobs wurden zu einem überwiegenden Großteil von Ausländern gemacht, viele davon aus der EU. Die Iraner, Russen und Ukrainer unter den Quants, Händlern und Managern hatten mittlerweile zwar britische Reisepässe, ihre Expertise aber wohl aus ihren Heimatländern mitgebracht.
Doch auch abseits der Banken sind viele Unternehmen auf EU-Ausländer angewiesen. In den vielen Kaffee- und Snackbuden der Stadt hört man ein buntes Gemisch aus unterschiedlichsten Akzenten, und auch in der Handwerksszene vertrauen selbst die Engländer lieber den polnischen Installateuren, Elektrikern und Bauunternehmen. Ärzte und Krankenschwestern sprechen übrigens meist kaum oder nur schlechtes Englisch, denn das marode Gesundheitssystem importiert massenweise Mediziner aus der gesamten EU, die hier während ihres Urlaubs etwas dazuverdienen.
Die vielen Dienstleistungen aus Gastronomie und Handwerk könnten im Fall eines Brexit gleich mit den Bankern mit umziehen, sei es nach Paris, Frankfurt oder Amsterdam. Vorteile hätte es wahrscheinlich für alle Beteiligten im persönlichen Leben. Der Weg nach Hause zur Familie wäre näher, das Geldwechseln könnte man sich sparen, die Zeitverschiebung fällt weg, das Auto hätte das Lenkrad wieder auf der richtigen Seite, und alle könnten endlich wieder in einem Land mit einer ordentlichen ärztlichen Versorgung leben. Dazu kämen bezahlbare Wohnungen mit solider Bausubstanz, dichten und isolierverglasten Fenstern, guter öffentlicher Infrastruktur, leichter zu eröffnenden Bankkonten, eine Anmeldung zu Gas und Strom selbst ohne mindestens dreijähriger „UK Bank History“, kein Flug mehr über Heathrow, und so weiter und so fort. England ist ein wunderschönes Urlaubsland, die Pubs mit ihren Ales sind fantastisch, die Küste wunderschön, London eine faszinierende Tourismusdestination, aber die Lebensqualität liegt doch deutlich unter der anderer großer europäischer Städte. Ein Brexit wäre also auch für die vielen Expats nicht nur ein Nachteil.