Die Tage von LIBOR, EURIBOR & Co sind gezählt
Die Tage der IBOR Zinssätze (Interbank Offered Rate) sind wohl gezählt. Wie bereits berichtet wird die Financial Conduct Authority (FCA), die für das LIBOR Panel zuständige Aufsichtsbehörde, die Verpflichtung zur Quote-Abgabe der Panel-Banken mit Ende des Jahres 2021 einstellen. Wie es danach weiter gehen soll, darüber rätselt die Finanzwelt nun seit geraumer Zeit.
Noch wird LIBOR fleißig verwendet
In der Praxis ist das baldige Ende der LIBOR-Rates offensichtlich noch nicht angekommen. Täglich werden neue Produkte an den internationalen Finanzmärkten abgeschlossen. Anleihen, die auf einen der Libor-Sätze referenzieren, Kredite, Zinsswaps, Total Return Swaps, Credit Default Swaps, Libor-Futures, Libor-Optionen, Repos, Commercial Papers, Veranlagungen und viele mehr verwenden als zentralen Referenzzins nach wie vor munter LIBOR. Das betrifft alle großen Hauptwährungs-Märkte, also USD, Euro, Sterling, Schweizer Franken und Japanischer Yen. Schätzungen zufolge referenzieren aktuell etwa Nominalwerte in Höhe von 370 Billionen USD auf einen LIBOR-Zinssatz. Selbst wenn es nur Schätzungen sind – viele Produkte werden OTC gehandelt und landen nicht in zentralen Statistiken – und der Nominalbetrag in vielen Fällen wenig über das dahinter stehende Risiko aussagt, ist die Rolle des LIBORs im gesamten Fixed Income Markt unwahrscheinlich groß. Nicht zuletzt deshalb war die Manipulation einzelner LIBOR Sätze vor zehn Jahren ein derart großer Skandal, der weite Kreise gezogen hat.
LIBOR muss ersetzt werden. Muss er?
Wenn ein so zentraler Referenzzins wie der LIBOR, der weltweit in derart vielen Finanzprodukten seit Jahrzehnten eingesetzt wird, plötzlich binnen kurzer Zeit ersetzt werden soll, gerät die Finanzwelt in Aufruhr. Wer soll entscheiden, was zukünftig als Referenzzins verwendet wird? Was geschieht mit bestehenden Produkten, die möglicherweise noch Jahrzehnte weiter laufen, nachdem die LIBOR Berechnung schon lange eingestellt wurde? Und werden die LIBOR Berechnungen tatsächlich eingestellt, oder entscheidet die Finanzwelt zusammen mit den Aufsichtsbehörden sich doch für ein Beibehalten des aktuellen Systems?
Arbeitsgruppen mit eifrigen Ideen
Die Finanzindustrie ist in einer ganzen Reihe großer Interessenverbände organisiert. Meist verlaufen diese nach Produkt- und Marktgrenzen. So gibt es beispielsweise die ISDA (International Swaps and Derivatives Association), die sich um die Organisation und Interessenvertretung bei Finanzderivaten kümmert, vornehmlich Zins-, Kredit- und Währungsderivate. Eine weitere, wichtige Rolle spielt die ICMA (International Capital Markets Association), die die Interessen der ganz großen Marktteilnehmer im Fixed Income Markt vertritt. Zwei weitere, einflussreiche Gruppen sind die US-amerikanische sifma (Securities Industry and Financial Markets Association), sowie ihr europäisches Pendant afme (Association for Financial Markets in Europe), welche jeweils die Interessen großer Kapitalmarktteilnehmer über Assetklassen hinweg vertreten. Sie alle arbeiten derzeit sowohl alleine als auch gemeinsam an neuen Ideen für eine Welt und ein Leben nach dem LIBOR.
Der Hauptkritikpunkt an LIBOR: Keine Marktdaten, nur Expertenschätzungen
Seit etwa 10 Jahren will die Kritik an der Art und Weise, wie die LIBOR Zinssätze zustande kommen, nicht abreißen. Die Berechnung erfolgt anhand von Eingaben großer Banken, die Mitglied im Libor Panel sind. Dass diese Eingaben weder frei von Interessenkonflikten sind, noch auf tatsächlichen Refinanzierungskosten beruhen, ist spätestens seit dem Libor Skandal jedem bekannt. Aber gibt es gute Alternativen?
Over Night Rates als brauchbare Alternative?
Bei der Berechnung von mit Collateral unterlegten Swaps – das sind heute so gut wie alle – haben sich die Overnight Rates, also Eonia, OIS, TOIS, etc. bereits seit Jahren etabliert. Sie liegen bereits einigen Krediten zugrunde, werden bei Margin Berechnungen verwendet, und vor allem werden sie nicht nur anhand von Quotes, sondern auf der Basis tatsächlicher Markttransaktionen berechnet. Aber eignen sich Eonia und Co auch für die breite Masse an Swaps, Krediten, Anleihen und Kapitaleinlagen, Repos, Commerical Papers und den vielen anderen Finanzprodukten, die seit Jahrzehnten auf den 3-Monats-Libor, 6-Monats-Libor oder 12-Monats-Libor vertrauen?
Die Antwort steht noch aus
Die passende Lösung konnten die vielen Arbeitsgruppen der vielen Interessenverbände bisher noch nicht präsentieren. Die Overnight Rates scheinen den Interessenverbänden dabei nicht in allen Fällen die bestmögliche Lösung zu sein. Ihre bisherige Arbeit war vor allem mit der Auflistung der Risiken beschäftigt. Systemrisiko, Liquiditätsrisiko, rechtliche Risiken, regulatorische Risiken, Abwicklungsrisiken, operationelles Risiko, steuerliche Risiken, um nur einige zu nennen, beschäftigen die Marktteilnehmer. Hinzu kommen die zu erwartenden Kosten bei einer marktweiten Änderungen des Referenzsatzes, sowie die nicht zu unterschätzende Problematik, dass viele Vertragsbedingungen tatsächlich eine vorzeitige Vertragsbeendigung vorsehen, falls der Referenzzins nicht mehr vorhanden sein sollte. Die ganze Bandbreite möglicher Komplikationen in diesem gigantischen Markt mit seinen unzähligen Marktteilnehmern von der Zentralbank bis hin zum kleinsten Konsumenten lässt jeden Beobachter unweigerlich schwindlig werden.
Die RFR-Arbeitsgruppen
In diversen Positions- und Arbeitspapieren ist die Rede von einem „neuen“, alternativen, risikolosen Zinssatz, der sogenanten „Alternative Risk Free Rate“ oder RFR. Entsprechend nennen sich die vielen Gremien, die sich über die vergangenen Monate gebildet haben, meist RFR-Working Groups. Ihre Hauptsorge ist meist die fehlende Liquidität in allen bisher vorhandenen Alternativzinssätzen. Zur Wahl stehen entweder bereits existierende Sätze, wie die Overnight Rate, die Repurchase Rates, Bondrenditen, aber auch völlig neue Referenzsätze werden diskutiert.
Wie wird der Markt reagieren?
Noch scheint der Markt nicht in Panik zu geraten, und die Diskussionen der RFR-Arbeitsgruppen verlaufen am Rande der Parketts. Doch die Zeit drängt, denn in weniger als vier Jahren könnte es mit der LIBOR-Familie zu Ende gehen. Gerade im Fixed Income Markt sind vier Jahre quasi ein Wimpernschlag. Ob die LIBOR-Quotierungen tatsächlich eingestellt werden, wird sich zeigen, schließlich haben die Panel-Banken auch ein eigenes, nicht unwichtiges Interesse an einem weiterhin liquiden und funktionierenden Kapitalmarkt ohne dramatische Verwerfungen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, welche Präferenzen und Ergebnisse die Arbeitsgruppen präsentieren. Doch selbst wenn sich die Industrie auf einen neuen Referenzzins für die Märkte in USD, EUR, CHF, GBP und JPY einigen sollte, darf man den Rattenschwanz, der einer dermaßen dramatischen Veränderung folgt, nicht vergessen. Beispiele sind die wahrhaft zahllosen Vertragsänderungen, die zwangsweise anstehen würden, Bewertungsproblematiken, Systemumstellungen, und so weiter und so fort. Allein der Gedanke daran schüchtert ein. Wir harren der Dinge.