Vor vielen Jahren hatte ich an der Wirtschaftsuniversität in Bergen das Fach „Shipping Economics“ belegt. Ein volkswirtschaftliches Fach, aber eben auf die Schifffahrtsbranche zugeschnitten. Im Zuge des Kurses sollten die Studenten an einem mehrwöchigen Projekt teilnehmen. Es war ein Spiel, das uns Studenten die Herausforderungen der Logistik und des Managements einer Reederei auf relativ einfache Weise vermitteln sollte.
Jedes Projektteam bekam zu Beginn ein gewisses Budget. Damit konnten wir Schiffe kaufen. Von groß bis klein, modern mit doppelter Wand bis hin zum Schrottdampfer. Danach konnten wir die Schiffe verchartern und selbst bewirtschaften. Die Frachtraten wurden dabei stets vom Computer neu generiert. Ebenso die Preise für die verschiedenen Schiffe. Der Stahlpreis war ein zusätzliches Kriterium, denn manchmal war es tatsächlich günstiger, sein Schiff zu verschrotten, als es weiter laufen zu lassen.
So machten sich also alle Studenten ans Werk und kalkulierten, projektierten, kauften einige wenige und teure, dafür sehr gute Schiffe, und machten damit alle mal einen bescheidenen Gewinn, mal einen Verlust. Meine Projektgruppe schlug einen anderen Pfad ein. Wir kauften für das ganze Geld, das wir hatten, Schrottdampfer. Viele davon. Bei jedem Kauf mussten wir die Warnung bestätigen, dass wir mit dem Betrieb das Leben der Mannschaft sowie Umweltschäden riskierten. Wir kauften die Dampfer trotzdem. Und betrieben sie unter der Flagge von Liberia. Das kostete uns so gut wie nichts. War der Stahlpreis hoch, verschrotteten wir einige unserer Schiffe, um uns kurz darauf, wenn der Kurs gut stand, wieder mit Gewinn mit neuen Schrottdampfern einzudecken. Was wir zunächst nur vorsichtig gemacht hatten, trieben wir von Woche zu Woche immer toller. Bald hatten wir keinerlei Skrupel mehr. Wir liebten unsere billigen Schrottdampfer. Unsere Gewinne waren astronomisch im Vergleich zu den anderen Projektgruppen.
Wir gewannen das Spiel mit klarem Vorsprung. Die anderen Gruppen waren sauer. Sie, die sie das Projekt ernst genommen und verantwortungsvolle Reeder gewesen waren, hatten gegen diese alberne Schrottdampfertruppe verloren. Das schien ihnen allen ungerecht. Uns übrigens auch, schließlich hatten wir die Sache tatsächlich nicht wirklich ernst genommen. Es war ein Spiel. Den Preis nahmen wir dennoch an. Gewonnen war schließlich gewonnen. Der Professor war wohl etwas erstaunt ob unserer ungewöhnlichen Strategie, aber am Ende zählte für ihn nur die Zahl unter dem Strich. Man muss ihm zugute halten, dass er ein Ökonom war und kein Soziologe. Auf das Thema Moral im Wirtschaftsleben einzugehen, gehörte sichtlich nicht zu seinem Lehrauftrag.
Passen Moral und Ertrag denn zusammen? Sind Rendite und Nachhaltigkeit tatsächlich negativ korreliert? Werden diejenigen belohnt, die sich korrekt, ethisch, nachhaltig und gut verhalten, oder sahnen eher die Skrupellosen die Preise ein? Rein ökonomisch betrachtet kommen am Gutsein schnell Zweifel auf. Auch die Wissenschaft übrigens stützt die These, dass Rendite und soziales Engagement nicht positiv korrelieren. Eine aktuelle Studie der Universität Graz über die Bewertung von „Socially Responsible Investments“ kommt etwa zu dem Ergebnis, dass Investoren lieber eine Prämie für Investments in nicht-SRI-Assets bezahlen als ihr Geld in SRI Investments zu stecken. SRI-Assets sind demnach einfach weniger nachgefragt.
Natürlich gibt es sie, die Investoren und Menschen, die gut, nachhaltig und ethisch am Wirtschaftsleben teilhaben wollen. Möglicherweise sind sie sogar in der Überzahl. Die großen Gewinne scheinen sie allerdings nicht abzusahnen. Das große Geld scheint sich eher von denen angezogen zu fühlen, die auf kurzfristigen Profit, Ausbeutung und Eigennutz aus sind. Da sind Dinge wie Korruption, Wilderei, Schmuggel, Erpressung oder Waffen- und Drogenhandel noch gar nicht mit erfasst.
Diesen Kreis zu durchbrechen ist wahrscheinlich eher eine gesellschaftliche Herausforderung als eine rein ökonomische. Nachhaltigkeit, ethisch korrektes Handeln, die Vermeidung von Ausbeutung und die Einhaltung gewisser Spielregeln der Fairness sind nicht jedem Menschen eine Herzensangelegenheit. Jene, denen diese Dinge nicht in die Wiege gelegt wurden, benötigen meist etwas Nachhilfe in Form von Gesetzen und Geboten, die mit Strafen durchgesetzt werden. Unser Schifffahrtsprojekt wäre mit Sicherheit anders und für alle zufriedenstellender verlaufen, wenn wir bessere Leitlinien gehabt hätten. Etwa das Verbot, mit Schrottdampfern gewisse Häfen anzulaufen. Oder hohe Versicherungsprämien, die den Betrieb unrentabel gemacht hätten.
Die aktuelle Regulierungswelle in der Finanzbranche geht in genau diese Richtung. Manche Menschen und Organisationen benötigen eine genaue Regulierung und Kontrolle, um sich korrekt zu verhalten. Regulierung ist somit auch gesellschaftlich wichtig. Damit Moral und Rendite eine bessere Chance auf eine positive Korrelation bekommen.