Anders als z.B. bei Rechtsanwälten, Ärzten und Steuerberatern darf sich jeder – unabhängig von seiner Ausbildung und Erfahrung – als Derivat- oder “Finanzexperte” bezeichnen. Ratsuchende können sich daher nicht darauf verlassen, dass eine Kammer oder eine staatliche Institution darüber wacht, dass nur wirklich objektiv qualifizierte Berater am Markt ihre Leistungen anbieten. Gleichzeitig sorgen hohe Spezialistenhonorare dafür, dass sich auch solche Personen als Berater anbieten, denen wesentliche Qualifikationen fehlen.
Angesichts der Tatsache, dass es bei Derivatgeschäften um Beträge geht, die sich nicht selten im Millionenbereich bewegen, sollte man sich zuvor sorgfältig überlegen, wen man mit der Vertretung seiner Interessen mandatiert.
Gleichwohl ist es für Außenstehende extrem schwierig, die Qualifikation eines Beraters zu beurteilen. Ich habe deshalb in der folgenden Tabelle Merkmale zusammengetragen, die nach meiner Erfahrung typische Anzeichen für bzw. gegen die Expertise eines Beraters bei Zinsderivaten sind. Dabei gilt, dass geeignete Kandidaten vermutlich niemals alle Prüfungspunkte für sich entscheiden können. Erfahrungsgemäß häufen sich die Kreuzchen allerdings immer in einer Spalte.
Prüfungspunkt | spricht für die Expertise | Expertise i.d.R. fraglich |
Ausbildung | abgeschlossenes Universitätsstudium mit (finanz-)mathematischem Schwerpunkt und/oder Certified Financial Analyst (CFA) | Banklehre und Abschlüsse von Berfusakademien Universitätsabschlüsse ohne besondere mathematische Kenntnisse (hierzu zählen oft auch Dipl.-Kaufleute, Volkswirte und MBA-Abschlüsse). |
Berufliche Erfahrung | Tätigkeit im direkten Handelsbereich einer Investmentbank als „Quant Entwickler“, Händler oder Sales Trader für Zinsprodukte | Sämtliche Tätigkeiten in einer Filialbank – egal, ob als Leiter, Geschäftskundenbetreuer oder Wertpapierberater |
Beratungsschwerpunkt | Starke Fokussierung auf die Bewertung und das Handling von Zinsderivaten | Breite Streuung der Beratungsleistungen, insbesondere wenn der Schwerpunkt eher auf dem Vertrieb von Versicherungs-, Fonds- und Vorsorgeprodukten sowie Bausparinstrumenten liegt. |
Persönliche Neigungen | Affinität zu finanzmathematischen Problemen und EDV-gestützten Lösungsverfahren | ./. |
Außenauftritt des Unternehmens | Webseiten, Blogs und Publikationen, die sich intensiv mit Zinsderivaten und Bewertungsfragen beschäftigen. | Keine oder nur stichwortartig-oberflächliche Abhandlungen zu Zinsderivaten |
Ausstattung des Unternehmens | Eigenentwickelte IT-Platform auf Basis etablierter Open Source Software für Derivatanalysen | Rückgriff auf Drittanbieter oder Online-Bewertungsportale |
Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht darum, dass ich hier Versicherungskaufleute, Diplom-Volkswirte, Bankbetriebswirte usw. per se für inkompetent erklären will. Es geht vielmehr um die Frage, ob in diesen Gruppen mehrheitlich das erforderliche Spezialwissen zur Beruteilung von Zinsderivaten und Kapitalmarktinstrumenten zu erwarten ist.
Um einen Schnelltest durchzuführen, der zumindest den Großteil ungeeigneter Berater auszusortieren kann, empfehle ich folgende fünf Testfragen, die jede echte Frachfrau und jeder echte Fachmann für Zinsderivate ohne Zögern, Google oder Telefonjoker direkt beantworten kann:
- Welche überschlägige Duration hat ein 6-jähriger 3M-Floater?
- Muss man als Kunde bei einem Market-Maker die Geld- oder die Briefseite anfragen, wenn man in einem Zinsswap empfangen will?
- Wie hoch ist der überschlägige PV01 eines 10-jährigen Standard Zinsswaps mit einem Nominal von 10 Mio.?
- Wo waren sie am 11.09.2001, als die Attentate auf das World Trade Center in New York stattfanden? (Klingt seltsam – und dennoch wird Ihnen jeder echte Derivatexperte dieselbe Antwort geben…)
- Welche Software nutzen Sie selbst für das Pricing von Derivaten?
Falls Sie die richtigen Antworten wissen möchten: Geben Sie bitte Ihre dienstliche eMail-Adresse und einen Hinweis zum Hintergrund ihres Interesses an (z.B. “Bin Finanzcontroller bei der ABC GmbH”) an, so dass erkennbar ist, dass Sie nicht selbst als Finanzberater tätig sind und Leistungen zu Zinsderivaten anbieten, denn in diesem Fall würden Sie die richtigen Lösungen ja bereits kennen 😉
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Hobbykeller-Blog.