Den Preis für ein Produkt oder eine Dienstleistung selbst bestimmen, oder Pay-What-You-Want, ist ein interessantes Konzept, das aber bereits von vielen Branchen und Unternehmen ausprobiert wird. Würde dieses System auch in der Finanzbranche funktionieren, etwa für Honorarberatung?
Zählt man auch Trinkgeld im Restaurant oder der Bar dazu, dann ist das Konzept des Pay-What-You-Want gar nicht mal neu. Auch Wohltätigkeitsauktionen, bei denen die Auktionäre ohne Mindestgrenze den Preis für ein Produkt oder eine Dienstleistung bestimmen, gibt es bereits sehr lange. Es gibt Museen, die keinen fixen Eintrittspreis verlangen, dafür um eine Spende bitten. Aber im allgemeinen Wirtschaftsleben ist das Konzept doch noch immer ungewöhnlich und neu. Denn viele Nutzer oder „Käufer“ entscheiden sich erfahrungsgemäß dafür, nichts zu bezahlten, wohingegen andere einen Preis bezahlen, den sie selbst festlegen. Kann denn Pay-What-You-Want überhaupt in unserer Gesellschaft funktionieren?
Wir sind es gewohnt, einen Preis vom Verkäufer oder Dienstleister vorgegeben zu bekommen. Kaufen wir sein Produkt oder nehmen seine Dienstleistung in Anspruch, bezahlen wir den zuvor vom Verkäufer fixierten Preis. So ist das im Supermarkt, im Restaurant, beim Online Shopping, im Parkhaus, und so weiter und so fort. Könnte denn auch hier das Prinzip des vom Kunden selbst bestimmten Preises funktionieren? Würden dann nicht alle die Leistung oder das Produkt zum Preis von Null haben wollen?
Mit dieser Frage beschäftigen sich auch viele Wirtschafts- und Verhaltensforscher. Es gibt auch immer mehr Beispiele aus der Praxis, wo Unternehmen den vom Kunden selbst bestimmten Preis ausprobiert haben. Da gibt es zum einen die vielen Anbieter von Open Source Software wie etwa die verschiedenen Linux Betriebssysteme, für die jeder, der sich die Software auf seinen Computer lädt, den Kaufpreis inklusive Null selbst bestimmen kann. Wikipedia ist ein weiteres Beispiel. Auch Musiker haben sich am Pay-What-You-Want bereits versucht, so etwa die Band Radiohead, die bereits im Jahr 2007 ein ganzes Album mit einem vom Fan festgesetzten Preis – wieder inklusive Null – zum Download angeboten hat. Trotz aller Kritiker des Konzepts nahm die Band eine Rekordsumme ein. Zwar luden sich auch viele Besucher der entsprechenden Webseite das Album kostenlos herunter, aber viele andere zahlten auch dafür. Im Schnitt werden 6 USD kolportiert, die zahlende Nutzer als Spende hinterließen. Bei etwa einer Million Downloads und angeblich 2/5 zahlender Downloads ergibt das immerhin eine Summe von 2,4 Mio USD. Nicht schlecht dafür, dass sich das Album auch jeder kostenlos hätte herunterladen können.
Mehrere wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass durch einen selbst bestimmten Preis auch das Kauf- und Konsumverhalten beeinflusst werden. Meist werden unter diesem System weniger Produkte oder Dienstleistungen gekauft, dafür jedoch zu einem durchschnittlich höheren Preis. Dabei ist auch ausschlaggebend, ob die Zahlung in der Öffentlichkeit gemacht wird, also von anderen beobachtet wird, oder eben nicht. Hinzu kommt noch eine weitere soziale Komponente, die viele Käufer zum Bezahlen eines Preises über Null antreibt: Das Gefühl von Gerechtigkeit und Würde, also die Moral der Menschen. Der Käufer möchte selbst nicht als Schmarotzer gesehen werden und sich auch nicht an einem Produkt bereichern, dessen Produktion und Bereitstellung den Verkäufer etwas gekostet hat. Als Beispiel kann man hier etwa die vielerorts üblichen Blumenwiesen zum Selberpflücken oder Automaten für Frischmilch nehmen, die trotz fehlender Bezahlkontrolle meist funktionieren. Die eigene Würde, die jemand durch das Bezahlen für eine Leistung oder ein Produkt empfindet, und die Wertschätzung des Verkäufers spielen mehrerer Studien zufolge eine wichtige Rolle. Das trifft nachweislich nicht auf alle Käufer zu, denn viele nehmen die Leistung auch kostenlos in Anspruch, aber unter dem Strich steht in vielen Experimenten und Beispielen ein wirtschaftliches Plus.
Die Wissenschaftler Kahsay und Samahita (2014) kommen in ihrer sehr interessanten Studie „Pay-What-You-Want pricing schemes: A self-image perspective“ zu dem Schluss, dass sich das Konzept des selbst bestimmten Preises vor allem für Wirtschaftsbereiche mit geringen Grenzkosten eignet und ein bestimmtes Zielpublikum ansprechen sollte. Hier ist der individuelle Nutzen, den jemand durch den Kauf oder Konsum eines Produkts oder einer Leistung für sich zieht besonders wichtig, und der vom Käufer gesehene „Faire Preis“. Käufer sehen PWYW nur dann für sich als Vorteil, wenn sie dadurch eine Alternative zu einem hohen Fixpreis haben. Für Verkäufer hingegen liegt der Vorteil in einem möglichst geringen fairen Preis. Für den Erfolg einer PWYW Strategie ist laut der Studie demnach wichtig, dass der Verkäufer den subjektiven Nutzen des Käufers und damit dessen Einstellung und Meinung zum Produkt mit berücksichtigt. Der empfohlene Preis für das Produkt sollte ausreichend hoch angesetzt werden, um dem Käufer das Gefühl zu geben, dass der Preis fair ist, und dass er für sich selbst durch die eigene Preisfestsetzung einen Nutzen ziehen kann. Ist die Preisempfehlung zu niedrig, sinkt interessanterweise auch die Nachfrage nach dem Produkt.
In etwas abgewandelter Form wird das Konzept übrigens auch von immer mehr Start-Ups und kleinen Unternehmen eingesetzt in Form von selbstbestimmten Gehältnern sowie selbstbestimmtem Urlaub. Bei Talent Plus oder PPR Talent Management Group etwa können alle Mitarbeiter selbst bestimmen, wie viel Urlaub sie im Jahr machen. In anderen Unternehmen können die Mitarbeiter selbst entscheiden, wie viele Stunden sie im Unternehmen arbeiten. In anderen Unternehmen, zum Beispiel bei Vollmer & Scheffczyk, können Mitarbeiter ihr Gehalt selbst festlegen. Überraschenderweise funktioniert das in vielen Fällen durch eine gegenseitige soziale Kontrolle unter den Mitarbeitern. In großen Konzernen könnte das System schwierig werden, bei kleinen Unternehmen scheint sich dieser Schritt aber tatsächlich nicht negativ auszuwirken.
Die eigene Wahl des Preises mag also in manchen Bereichen besser funktionieren als in anderen, und auch nicht in allen sozialen und gesellschaftlichen Umfeldern zum Erfolg führen. Möglicherweise liegt es aber auch daran, dass uns dieses Konzept noch zu fremd ist und viele Menschen im Umgang damit unsicher sind. Denn wir bevorzugen bekannte Muster, mit denen wir uns sicher fühlen. Dennoch ist PWYW ein interessantes sowohl wirtschaftliches als auch gesellschaftliches Konzept, das man nicht vollkommen abtun oder vergessen sollte!