Inflation. Inflation! Inflation?

Ein Interview zu Inflation mit dem Inflationsexperten und Diplom-Kfm.
Jens Libuda

Herr Libuda, Sie haben selbst jahrelang Inflationsbonds und Inflationsderivate für ein großes Finanzinstitut gehandelt.Sagen Sie, wie wichtig ist für uns heute, im Jahr 2017, Inflation?

Naja, Inflation ist traditionell ein sehr zyklisches Thema: Eigentlich hat Inflation seit der Ära von Paul Volcker als Chef der US-Notenbank in den 80er Jahren keine besondere Rolle an den Finanzmärkten gespielt und galt gemeinhin als “erledigt”. Zwei Jahre nachdem das US-Schatzamt im Jahr 1997 die ersten inflationsindexierten Anleihen eingeführt hatte, haben zwei Ökonomen der Bostoner Federal Reserve in der New England Economic Review ein Zwischenfazit veröffentlicht. Der Titel des Beitrags lautete “Inflation-Indexed Bonds: The Dog That Didn’t Bark”. Das sagt eigentlich schon alles: Für Inflation interessierte sich normalerweise kein Mensch. Nur wenn mal ein paar Monate in Folge Verbraucherpreissprünge registriert wurden, die über den Prognosewerten lagen, flammte das Thema kurz auf.

Diese Konstellation haben wir jetzt wieder. Seit November haben wir in der Eurozone Verbraucherpreisindizes, die über den Erwartungen liegen. Allerdings sind solche kurzfristigen Indexschübe in dieser isolierten Betrachtung ein ziemlich unzuverlässiger Indikator für die Beurteilung ob ein Inflationsprozess im Gange ist. Dafür wirken einfach zu viele Faktoren auf einen Preisindex, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Inflation liegen aber im öffentlichen Diskurs als Inflation misinterpretiert werden. Bislang ist es daher immer so gewesen, dass das Interesse am Thema Inflation wieder eingeschlummert ist, sobald sich herausstellte, dass die beobachteten Sprünge im Preisindex nur auf kurzfristige oder einmalige “Störgrößen” zurückzuführen waren.

Was sind denn solche Störgrößen?

Grundsätzlich ist nicht jeder Preisanstieg gleichbedeutend mit Inflation. Das ist nach klassischer Lehrbuchdefinition erst dann der Fall, wenn dieser Anstieg dauerhaft, nachhaltig und flächendeckend (also über das gesamte Verbrauchsgüterspektrum) wirkt. Ein Preisindex steigt z.B. an, wenn der Staat die Mehrwertsteuer erhöht – aber es ist eben keine Inflation, weil die Erhöhung einer Verbrauchssteuer ein einmaliger Effekt ist, der nach 12 Monaten wieder aus der Inflationsrate verschwindet.
Daneben gibt es noch saisonale Schwankungen in den meisten Preisindizes, z.B. dadurch, dass weihnachtsbedingt im Dezember tendenziell höhere Preise im Einzelhandel verlangt werden und im Januar aufgrund von Schlussverkaufsaktionen Rabatte gewährt werden.

Gehört der Ölpreis auch zu diesen Störgrößen?

Ich wollte ihn gerade erwähnen – er ist nach meinem Dafürhalten sogar die interessanteste Wild Card für die Frage, ob die aktuellen Sprünge der Verbraucherpreisindizes in den vergangenen Monaten tatsächlich die ersten Anzeichen einer bevorstehenden Inflationsphase sind oder doch nur ein vorübergehendes Wetterleuchten. Die Vorstellung, dass Öl als Vorprodukt in so ziemlich alle Produkte und Dienstleistungen eingeht, ist ja weit verbreitet. Ökonomen der Chicagoer Schule werden allerdings immer etwas nervös, wenn sie die Worte Inflation und Öl in einem Satz hören. Sie bestehen darauf, dass ein Ölpreisanstieg zumindest so lange nicht inflationierend wirkt, wie die Zentralbank sich weigert, diesen Anstieg auch monetär zu begleiten – also solange sie kein zusätzliches Geld in Umlauf bringt. Da allerdings seit 2008 ein wahrer Geld-Tsunami von allen großen Notenbanken auf die Märkte losgelassen wurde, ist dieser Aspekt rein theoretisch. In Kurzform würde ich sagen: Die jüngsten Sprünge in den Inflationsraten passen auffallend gut zu den jährlichen Veränderungsraten des in Euro umgerechneten Ölpreises. In den Jahren 2015 und 2016 hatten wir einen starken Rückgang des Rohölpreises, der mit entsprechend niedrigen Inflationsraten einher ging. Seit November 2017 liegt der Ölpreis wieder über Vorjahresniveau, und wir sehen einen Anstieg der jährlichen Preissteigerungsraten.

Treiben damit die Energiepreise die Inflation?

Ich würde sagen: Sie treiben den Preisindex an, aber nicht die Inflation. Was die Ölpreisthematik so interessant macht, ist die Tatsache, dass durch die in Nordamerika entstandene Fracking-Industrie die Preissetzungsmacht der traditionellen Förderländer weiter gelitten hat. Das Fracking wird ab einem Ölpreis von ca. 50 bis 60 USD pro Barrel profitabel. Und es gibt eine ganze Reihe von Prozessinnovationen, die diese Schwelle zukünftig noch weiter absenken könnten. Damit steckt die OPEC in einem Dilemma: Erhöht sie den Ölpreis über diese Grenze, um eine höhere Kartellrente abzuschöpfen, küsst sie damit die Konkurrenten wieder wach, die ihr in der Hochpreisphase das Leben schwer gemacht haben.
Die OPEC hat somit jedenfalls einen Grund, den Ölpreis nicht deutlich über das gegenwärtige Niveau steigen zu lassen. Das würde aber gleichzeitig bedeuten, dass vom Öl kein anhaltender Auftrieb mehr ausgehen könnte – und dann hätten wir es nicht mit Inflation zu tun. Wenn das Barrel weiter um 50 bis 60 USD pendelt, wird dieser Effekt Ende des laufenden Jahres wieder aus der Inflationsrate herausfallen.

Dieser Befund bestätigt sich auch, wenn man einen Blick auf die sogenannte Kerninflationsrate wirft – das ist vereinfachend gesprochen die Inflationsrate, die sich ergibt, wenn man Energieprodukte aus dem Warenkorb ausklammert. Da erkennt man, dass wir seit zwei Jahren irgendwo zwischen 0,5% und 1% Kerninflation liegen. Auf mich macht das einen weniger spektakulären Eindruck als das, was momentan in der öffentlichen Diskussion transportiert wird.

Also kein Inflationsproblem?

Naja die Frage, ob Inflation ein Problem ist, hängt erst einmal von der Perspektive des Betrachters ab. Für einen gestandenen Euro-Retter wie Mario Draghi gibt es eigentlich zu wenig Inflation und nicht zu viel. Da wird regelmäßig davon phantasiert, dass man eine Deflation bekämpfen müsse. Auch die japanische Notenbank versucht sich seit Jahrzehnten in quantitativen Lockerungsübungen – ohne dass sie dabei nennenswerte Erfolge vorweisen könnte. Das zeigt, dass die Ansteuerung einer bestimmten Inflationsrate für eine Notenbank eben nicht so einfach ist, wie das Einstellen der Wunschtemperatur an einer Klimaanlage – auch wenn die Notenbankchefs diesen Eindruck natürlich öffentlich immer gerne vermitteln.

Der Ölpreis taugt meines Erachtens gegenwärtig aus den zuvor geschilderten Überlegungen jedenfalls nicht als Inflationsbeschleuniger. Er könnte in Euro höchstens noch über die Wechselkurskomponente steigen, wenn der Euro gegen den Dollar abwertet. Allerdings steht dem ein US-Präsident entgegen, der in Richtung der üblichen verdächtigen Exporteure – China, Deutschland und Japan – schon mal signalisiert hat, dass er eine Exportförderung per Abwertung der eigenen Währung missbilligen würde.

Innerhalb der Eurozone könnte ich mir momentan am ehesten vorstellen, dass die administrierten Preise die Inflation anschieben. Das sind solche Preise, die staatlich oder staatsnah gesetzlich verordnet werden können. Da viele öffentliche Haushalte faktisch pleite sind, besteht natürlich die Neigung, staatliche Zwangsabgaben zu erhöhen: Hier mal die Realsteuerhebesätze, dort mal die Wasser- und Abwassergebühren, mal wieder etwas mehr Rundfunkgebühr, Zweitwohnungs- und Grunderwerbssteuern – die Fantasie der Finanzpolitiker ist da bekanntermaßen grenzenlos. Zwar ist jede Erhöhung für sich genommen nur einmalig wirksam, aber die Suche nach Finanzierungsquellen ist ja bei strukturell defizitären Haushalten ein anhaltender Prozess.

Vielen Dank, Herr Libuda!

Das Interview führte Martina Bahl, Geschäftsführerin von BahlConsult GmbH, Redakteurin der kostenlosen Wissens-Seite http://finanzderivate.info sowie Koordinatorin von kapitalmarktteam.de mit seinem beliebten Banker-Blog „Xaviers Blog„. 

Lesen Sie im nächsten Beitrag ein weiteres Interview mit Herrn Libuda, in dem er uns erklärt, welche Produkte es gibt, um sich gegen Inflation abzusichern.