Marktneutrale Strategien sind im Mainstream angekommen
Lange Zeit wurden marktneutrale Strategien hauptsächlich von spezialisierten Hedgefonds verfolgt. Doch mittlerweile sind marktneutrale Fonds und Portfolien im allgemeinen Mainstream angekommen, und immer mehr ETFs (Exchange Traded Funds) und Publikumsfonds setzen auf Marktneutralität. Das Segment wächst und erfreut sich einer immer größeren Produktpalette.
Marktneutrale Strategien werden vielfach missverstanden
Häufig denken selbst Portfoliomanager und Treasurer, dass marktneutrale Strategien etwas sind, mit dem man immer Geld verdient, egal was im Markt passiert. Nun, schön wäre es, wenn es so etwa gäbe. Tatsächlich geht es bei marktneutralen Strategien nicht darum, jederzeit und immer positive Erträge zu erwirtschaften. Vielmehr geht es darum, das sogenannte „Marktrisiko“ so weit wie möglich auszuschalten. Da das Marktrisiko auch sehr viel mit Volatilität, also der Schwankungsbreite der Kurse, zu tun hat, zählen marktneutrale Strategien zu den Low-Vola-Strategien. Damit kann das Portfolio je nach Marktlage sehr gut fahren, beispielsweise in Zeiten hoher Volatilität und Kursrückgängen, aber auch schlecht bis negativ abschneiden, wenn die Vola im Markt ohnedies gering ist oder ein langer, stabiler Bull-Markt vorherrscht.
Das Marktrisiko wird über die Risikokennzahl Beta gesteuert
In der Finanzwelt werden allerlei Risiken betrachtet, ausgewertet und gemanagt. Eine sehr wichtige und viel beachtete Risikokennzahl ist das Beta (β). Beta steht für das Marktrisiko. Die Gesamtheit aller möglichen Investments (= „der Markt“) hat per Definition ein Beta von genau eins. Je nachdem, wie genau sich eine Investition, sei es nun eine Aktie, Anleihe, ein Fonds, ein Portfolio, ein Derivat oder ein anderes Papier oder Recht im Einklang mit „dem Markt“ nach oben und unten bewegt, kann ihr Beta vom Wert eins abweichen. Ein Beta unter eins bedeutet, dass sich das Investment weniger stark mit dem Markt bewegt, und ein Beta von mehr als eins bedeutet, dass die Bewegungen der Aktie, Anleihe oder anderem Investment zwar in die selbe Richtung gehen wie der gesamte Markt, dabei aber kräftiger ausfallen.
Ein negatives Beta hingegen weisen nur bestimmte Derivate auf. Short Futures Positionen sowie Put Optionen haben ein negatives Beta. Das bedeutet, dass sich ihr Wert genau gegenteilig zum Markt bewegt.
Mathematisch wird Beta als die Kovarianz der Erträge eines Wertpapiers gegenüber dem Markt dividiert durch die Varianz der Erträge des Gesamtmarktes beschrieben. Beta wird deshalb immer auch gerne als eine korrelierte, relative Volatilität bezeichnet.
Das Long und das Short Portfolio
Die genaue Ausgestaltung einer marktneutralen Strategie variiert von Anbieter zu Anbieter. Die Produkte unterscheiden sich meist in der Ausgestaltung des Long-Portfolios, also wie die einzelnen Wertpapiere oder Fonds ausgewählt und gewichtet werden. Steht das sogenannte „Long Portfolio“, also jene Seite, die aktiv in Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Fonds oder sonstige Assets investiert oder diese über Derivate wie synthetisch Long oder über Total Return Swaps nachbildet, wird dafür das Beta berechnet. Genau dieses Beta wird danach meist über den Verkauf von Futures auf null gestellt. Welcher Future Kontrakt verkauft wird, ist dabei in gewissem Maße Ermessenssache. Der Portfoliomanager wird versuchen, einen Kontrakt zu wählen, der dem Portfolio so gut wie möglich entspricht, oder eine Mischung verschiedener Kontrakte verwenden. Ziel ist es, das Beta auf exakt null zu bekommen, also durch die Short Futures Position komplett zu eliminieren. Am Ende besteht die Strategie aus dem Long Portfolio sowie einem Short Portfolio, deren Betas sich so weit wie möglich aufheben.
Strategie mit geringer Volatiltiät
Durch die gegengleichen Beta-Positionen reduziert sich die Volatilität, also die Schwankungsbreite der Erträge, sehr stark. Die meisten marktneutralen Portfolien haben dadurch Volas auf dem Niveau kurzfristiger Geldmarktindizes und damit um ein Vielfaches geringere Schwankungsbreiten als Aktienindizes oder sogar Staatsanleihenindizes. Das ist so gewollt, führt aber auch dazu, dass der Anleger nicht immer von allen Märkten profitieren kann. In Zeiten nervöser Märkte, in denen es immer wieder unerwartet stark nach unten geht, ist die geringe Vola ein klarer Vorteil. Der Short-Teil des Portfolios fängt hier die Verluste auf. Auf der anderen Seite drückt der Short-Teil in Zeiten langer, stabiler Bullmärkte permanent auf die Performance der Strategie und es kann sogar zu Verlusten kommen.
Häufig als Beimischung zur Vola-Reduktion verwendet
Tatsächlich werden marktneutrale Strategien gerne als Teil anderer, größerer Portfolien verwendet, um die Volatilität des Gesamtportfolios zu reduzieren. Sie dienen dann als Beimischung, die in Zeiten nervöser oder fallender Märkte etwas Ruhe und einen Ausgleich in die Gesamtertragslage bringen sollen. Als komplette Einzelstrategie findet man sie hingegen seltener. Das mag auch an den relativ hohen Kosten liegen, die durch den Einsatz von Derivaten verursacht werden.
Futures wollen gerollt und adjustiert werden
Wie bei jeder Strategie, die Futures verwendet, muss der Portfoliomanager seine Futures Positionen regelmäßig rollen. Denn schließlich haben Futures Kontrakte eine begrenzte Laufzeit, und der wirklich relevante und liquideste Kontrakt ist zudem meist der kürzeste. Das heißt im Fall der marktneutralen Strategien, dass die Future Position regelmäßig durch den Kauf der gegengleichen Position glatt gestellt werden muss. Je nach Kontrakt können damit Rollkosten verbunden sein. Contango wäre in unserem Fall gut. Contango im Future heißt, dass der länger laufende Kontrakt teurer ist als der endende Kontrakt, den wir glattstellen, und wir sogar einen Gewinn machen. Backwardation wäre in unserem Fall mit Rollkosten verbunden, da der auslaufende Kontrakt, den wir durch den Kauf von Futures glattstellen, teurer ist als der Preis des Kontrakt mit der nächsten Fälligkeit.
Damit nicht genug, verändert sich das Beta des Long-Portfolios laufend. Theoretisch müssten die Futures-Positionen deshalb laufend angepasst werden. Rein praktisch geschieht dies je nach Portfolio entweder wöchentlich, zwei-wöchentlich oder bei Erreichen einer bestimmten Abweichungsgrenze. Denn schließlich ist jedes „Rebalancing“ wieder mit Transaktions- und Abwicklungskosten verbunden. All diese Kosten können stark auf die Performance drücken.
Nicht jeder hat Zugang zum Terminmarkt
Die Konstruktion einer marktneutralen Strategie ist kein Hexenwerk. Trotzdem kann sie nicht jeder so ganz einfach nachbauen. Denn nicht jeder hat direkten Zugang zu Terminmärkten und kann Futures so ohne Weiteres Short verkaufen. Auch Anlagevorschriften, die entweder Terminkontrakte oder das Shorten eines Marktes verbieten, können der Konstruktion im Wege stehen. Gerade für diese Anleger bieten marktneutrale Portfolien eine interessante Komplettlösung.
Kein Allheilmittel aber interessant
Marktneutrale Strategien sind kein Wundermittel, mit dem immer und jederzeit höchste Gewinne erzielt werden können. Sie bieten vielmehr die Möglichkeit, Risiken anders zu gewichten und gezielt Schwerpunkte abseits des Marktrisikos zu setzen. Auch marktneutrale Portfolien können Verluste erleiden. Sie sind trotzdem eine interessante Sache und einen zweiten Blick wert. Umso erfreulicher ist es, dass diese Anlageklasse nun auch abseits der Hedgefonds-Welt angeboten wird und auch kleineren, institutionellen Anlegern offen steht. Da jedes Portfolio und jedes Produkt individuell ist, müssen Anleger trotzdem nochmals genau hinsehen, analysieren und vergleichen.