Diese Frage stellen sich viele. Wer berät mich mit welchen Hintergedanken? Nur allzu gerne möchten wir glauben, dass die anderen nur unser Bestes wollen. Wie das Urvertrauen, das kleine Kinder ihren Eltern entgegenbringen. In manchen sozialen Bereichen mag es auch genau diese idealistisch eingestellten Menschen geben, die anderen tatsächlich uneigennützig helfen wollen. Aber in der Finanzbranche?
Je höher der Einsatz, je höher der potenzielle Gewinn oder die finanzielle Belohnung für egoistisches Verhalten, desto wahrscheinlicher ist es, dass jemand zuerst an sich selbst denkt und den anderen so berät oder lenkt, dass es zuallererst zum eigenen Nutzen ist. Dafür gibt es eine ganze Reihe an psychologischen Experimenten, die das aufzeigen.
Damit ist die Finanzbranche übrigens nicht allein. Jede Beratung, die vom Verkäufer eines Produkts oder einer Dienstleistung gemacht wird, ist potenziell befangen und eigennützig. Ob nun die Verkäuferin in einer Modeboutique, der Juwelier, Optiker, Mobiltelefonverkäufer, im Technikladen, der Webdesigner, der Computerfachmann im Elektronikladen, der Autohändler, ja sogar der Arzt und das Krankenhaus folgen finanziellen Anreizen, die sie dafür belohnen, wenn der Umsatz hoch ist.
Es ist das Modell unserer Wirtschaft. Je mehr Geld dahinter steckt, je höher die Provisionen, desto stärker korrumpierbar wird die Beratung. Der Kunde, der sich dies nicht bewusst macht und blauäugig glaubt, wenn ihm der Verkäufer im Elektronikladen einen teuren Computer empfiehlt, die Frisörin zu einer neuen Haarfarbe samt Strähnchen rät oder der Finanzvermittler zur Investition in einen geschlossenen Fonds, der wird am Ende wahrscheinlich mehr ausgeben, als er wollte und Produkte kaufen, die nicht zu ihm passen. Den Verkäufer freut es, er verdient daran eine nette Provision.
Im Finanzmarkt geht es um ausgesprochen hohe Summen, und damit steigt der Einsatz und mit ihm die Provision für Geschäftsabschlüsse. Die gesamte Branche folgt einer Struktur aus Vermittlungsprovisionen, Kick-Backs und Margen auf Finanzprodukte. Jeder, der ein Produkt verkauft, vom Schalterbeamten einer Sparkasse oder Volksbank über den Versicherungsmakler um die Ecke bis hin zum internationalen Investmentbanker liegen die Anreize zum Kundenkontakt in der oft unverschämt hohen und lukrativen Verkaufsprovision.
Auf den ersten Blick ist das schwer zu erkennen. Im Rahmen neuer Gesetze und Vorschriften wie Mifid muss dem Kunden zwar theoretisch offen gelegt werden, wer von wem Vergütungen für die Vermittlung von Finanzprodukten erhält, aber die Realität rund um das Kleingedruckte ist viel komplexer. Zudem werden gerade institutionelle Anleger, bei denen es um besonders viel Geld geht, noch nicht von diesen Schutzvorschriften erfasst. Tatsächlich gibt es keine Neutralität und Unabhängigkeit in der Finanzberatung, sobald der Berater gleichzeitig auch Verkäufer von Finanzprodukten ist. Sei es nun ein Sparvertrag, ein Schuldscheindarlehen, eine Anleihe, Structured Note, eine Aktie, eine Beteiligung, ein Investmentfonds, eine geschlossene Beteiligung, Versicherung, ein Zertifikat, ein Swap, ein Optionsschein oder Ähnliches, immer gibt es für den Verkäufer einen finanziellen Anreiz. Dabei gilt die Faustregel: Je mehr Risiko, je komplexer, je länger, je illiquider, desto mehr kann der Verkäufer daran verdienen. Alles dreht sich um Verkauf, Margen und Provisionen. Dabei verdienen nicht nur die Verkäufer, sondern die gesamte Kette vom Emittenten über den Investmentbanker, den Hedgingpartner, den Zwischenverkäufern bis hin zum Vermittler sowohl bei Kauf als auch bei Umstrukturierungen und einem Verkauf kräftig mit.
Wer sich dieser Struktur bewusst ist, kann sein Verhalten entsprechend anpassen. Eine Möglichkeit ist es, sich von jemandem beraten zu lassen, der keine Verkaufsprovisionen erhält. Dafür fällt natürlich ein Honorar an. Dass am Ende der Investor, der sich unabhängig beraten lässt, trotzdem sparen kann, liegt daran, dass er seine Investments so kauft, umstrukturiert und verkauft, wie es tatsächlich in seinem Interesse liegt, und zu einem Preis, der nicht überteuert ist.