Totem sammelt Quotes der großen Market Maker
Sie gleicht ein wenig der mittlerweile obsoleten British Bankers Association, die über Jahrzehnte hinweg die Libor Sätze berechnet und veröffentlicht hat: Totem. Eine mittlerweile zum Unternehmen IHS Markit gehörende Veröffentlichungsplattform für sogenannte „Marktquotierungen“, in diesem Fall für außerbörslich gehandelte (OTC) Derivate. Die Idee dahinter ist wie bei den BBA Libor Quotes nobel. Die wichtigen Marktteilnehmer eines Marktes liefern an eine zentrale, unabhängige Organisation Preise, Kurse oder Zinssätze für bestimmte Produkte. Aus all diesen Quotes wird nach einem öffentlich bekannten Algorithmus ein Durchschnitt berechnet und veröffentlicht. Dieser „Konsensus-Marktpreis“ kann im Anschluss für die Bewertung aller bestehenden Geschäfte sowie als Referenz für Neuabschlüsse oder die Berechnung von Auflösungspreisen herangezogen werden.
Wäre da nicht ein Haken…
Die Idee selbst ist gut, wäre da nicht ein Haken an der Sache. Und zwar die Frage nach der Robustheit oder Echtheit der genannten Quotierungen. Die BBA hat es beim Libor am eigenen Leib erleben müssen, und der Libor Skandal hat die einem derartigen System innewohnenden Interessenkonflikte wunderbar deutlich dokumentiert. Diejenigen, die ein gigantisches, monetäres Interesse an der Bewertung selbst haben, werden unter Umständen nicht die Wahrheit sagen. Die große Frage, die sich alle stellen: Stimmen die Quotes denn überhaupt? Wie viel haben sie mit dem echten Markt gemeinsam?
Die Quotes kommen selten vom Händler selbst
Den Markt kennt der Händler eines Produkts mit Sicherheit am allerbesten. Nun ist es bei Totem aber so, dass die Berechnungen, die dort landen, in der Regel nicht vom Front Office, also nicht vom Händler kommen. Das soll jene Interessenkonflikte vermeiden, über die der Libor gestolpert ist. Also kommen die „Marktpreise“ von einem Team aus dem Bereich Finance. Diese sogenannten Preisüberprüfungsstellen haben aber selbst keinerlei Bezug zum Handel, sprechen meist nicht mal mit Händlern und sind auch physisch dem Tradingfloor fern. Was sie verwenden sind die Front Office Systeme, aber ohne das zusätzliche, tiefe Verständnis, wie der Markt funktioniert. Das Front Office System spuckt dann einen Preis für das gesuchte Produkt aus. Dieser Preis ist bei Zinsderivaten und Zinsoptionen sehr modellabhängig und wird maßgeblich davon beeinflusst, wie die Kurve kalibriert wurde, also ob der „Nutzer“ des Systems die Bids, die Offers oder eine wie auch immer berechnete Mitte nutzt. Ob die Kurve auch korrekt ist, wer weiß das schon so genau?
Findet Reverse Engineering statt?
Nun also meldet das Preisüberprüfungsteam seine berechneten Werte an Totem. Diese sammeln die Preise von allen ein, veröffentlichen einen Mischpreis, und schicken jedem, der einen Preis geliefert hat, eine Info zurück, wie weit sie in welchem Produkt vom „Marktpreis“ weg waren. Und da niemand falsch liegen möchte, gehen die Verantwortlichen entsprechend zurück an ihre Systeme, spielen mit den Parametern, und stellen diese so gut wie möglich entsprechend ein, um „den Marktpreis“ als Ergebnis zu erhalten. Reverse Engineering sozusagen.
Beim Libor gab es übrigens Gerüchten zufolge auch Kontributoren, die niemals auch nur einen Preis selbst aus ihren Systemen berechnet hatten. Sie nahmen schlicht die Quotes der ersten Market Maker, die gemeldet hatten, bildeten daraus den Durchschnitt und meldeten diesen. Damit konnte man schließlich nichts falsch machen. Ob das auch bei Zinsderivaten so läuft? Wer weiß. Dass sich alle kleineren Adressen an den im jeweiligen Produkt großen Market Makern orientieren mit ihren Quotes scheint hingegen eine lang gediente Praxis auch für Totem zu sein.
Bloß nicht alle Karten auf den Tisch legen!
Gerade Zinsoptionen bedürfen komplexer Modelle und Berechnungen. Aus den Preisen lassen sich Rückschlüsse ziehen über die Einstellungen und Annahmen der einzelnen Banken. Gerade bei sensiblen Produkten könnten daraus Konkurrenten durch reverse engineering Ideen zur Arbitrage erhalten. Auch diese Tatsache motiviert nicht jeden, genau die Preise zu quotieren, die man als 100% korrekt ansehen würde.
Orientiere dich lieber an den anderen
„Look what the others do and do the same.“
„Always go by the average.“
Das sind Ratschläge, die Juniors gegeben wurden und werden, wenn ihnen derartige Quotierungssystme erklärt werden. Die Problematik ist übrigens seit Jahrzehnten bekannt und durchaus kein Geheimnis. Sie ist den Marktteilnehmern absolut bewusst. Darauf angesprochen zucken die meisten allerdings nur resigniert mit den Schultern und meinen: „Jeder weiß es, und jeder spielt mit.“ So seien nun mal die Regeln des Marktes, so funktioniert das Spiel.
Nur echte, gehandelte Preise in liquiden Märkten sind robust
Vorgezeigt hat es uns EONIA, der nur tatsächliche Geschäfte für die Berechnung verwendet, und deshalb wird sich Eonia langfristig auch als Referenz im Zinsmarkt durchsetzen. Bei Zinsoptionen und vor allem den aufgrund ihrer impliziten Volatilität ausgeprochen wichtigen Caps ist das allerdings nicht einfach, denn es mangelt an ausreichender Liquidität über die gesamte Kurve hinweg. Viele Strikes werden nie gehandelt, und so müssen weiterhin reine Quotierungen herangezogen werden, die unter Umständen wenig mit der Wirklichkeit zu tun haben. Dieses in sich nicht perfekte System zu verbessern bleibt für alle Involvierten eine Herausforderung.