LIBOR steht vor dem Aus

In einer viel beachteten Ansprache hat Andrew Bailey, der Leiter der Britischen Aufsichtsbehörde „Financial Conduct Authority“ (FCA) die Finanzwelt damit überrascht, dass die Berechnung der Referenzzinssätze des LIBOR bereits 2021, also in vier Jahren, eingestellt werden sollen.

Gemessen an der Langfristigkeit der Fixed Income Welt, in der Zinsswaps, Anleihen und Kredite häufig mit Laufzeiten von zehn Jahren und länger abgeschlossen werden, ist ein Aus einer so zentralen Standardbenchmark in nur vier Jahren ein Schock.

Warum soll der LIBOR aufgegeben werden?

Der LIBOR (die Abkürzung steht für „London Interbank Offered Rate“) wird mit seinen vielen Laufzeiten und Varianten in einer schier unglaublichen Anzahl an Geschäften verwendet. Zinsswaps, variable Kredite, Swaptions, variable Anleihen, Versicherungsverträge, Rentenverträge, und vieles, vieles mehr referenzieren auf einen der LIBOR Sätze. Denn LIBOR ist als variabler Zins seit Jahrzehnten der unangefochtene Marktstandard. Jeder verwendet ihn, und weil ihn jeder schon immer verwendet, verwenden ihn auch die anderen, und so fort.

Dabei ist der LIBOR gar nicht einnmal so ideal als variabler Zinssatz. Denn der LIBOR ist jener Zins, zu dem sich Banken untereinander in verschiedenen Laufzeiten Geld leihen. Der Zins beinhaltet somit auch einen Kreditaufschlag, der das Risiko von Banken widerspiegelt. Allein das wäre schon Grund genug, über den LIBOR als sinnvollen, variablen Zins für Endnutzer wie Unternehmen, Privatpersonen oder Kommunen nachzudenken.

Der LIBOR wird zudem künstlich berechnet. Jeden Bankarbeitstag geben etwa 20 große Referenzbanken (die „Panel Banks“) für viele Laufzeiten und Währungen ihre Quotes ab. Die Quotes, das sind die Zinssätze, zu denen die Banken annehmen, sie könnten sich von anderen Banken Geld leihen. Tatsächliche Transaktionen fließen darin nicht ein. Die FCA kritisiert genau das und gibt zu bedenken, dass sich die Finanzierung von Banken über die Jahre grundlegend geändert hat. Banken leihen sich gegenseitig immer seltener Geld im Interbankenmarkt. Stattdessen nutzen sie andere Funding Quellen. Das führt nun aber dazu, dass die Quotes für den LIBOR kaum mehr Deal-bezogen sind und somit reine Ermessenssache der quotierenden Banken.

Ein weiteres Problem ist, dass der Ruf des LIBOR seit diversen Skandalen angeschlagen ist. Die Panel Banken sind immer zögerlicher und würden sich am liebsten aus der Quotierung zurückziehen. Sie fürchten Reputationsrisiken und dass ihnen jemand Interessenkonflikte vorwirft, die nunmal ganz klar bestehen. Doch ziehen sich zu viele Banken aus dem Panel zurück, kann der LIBOR irgendwann von heute auf morgen nicht mehr berechnet werden. Genau das fürchtet die FCA.

Darf die FCA das so einfach machen?

Die FCA, also die britische Aufsichtsbehörde, hat mit der Berechnung selbst nichts zu tun. Das geschieht über die Börse, die diese Aufgabe von der British Bankers Association übernommen hat. Doch was die FCA und die anderen, europäischen Aufsichtsbehörden so wichtig macht: Sie können in gewisser Weise das Fortbestehen garantieren. Denn im Rahmen der Europäischen Benchmark Regulierung haben die Aufseher die Möglichkeit, Banken vorübergehend dazu zu zwingen, Quotes für den LIBOR abzugeben.

Nun wird die FCA voraussichtlich ab Ende 2021 auf diese Möglichkeit verzichten. Das heißt, dass sie ab 2022 niemandem mehr mit Zwang zur Abgabe von Quotes für den LIBOR drohen wird.

Theoretisch könnte der LIBOR also auch nach 2021 weiter bestehen, sofern die Banken freiwillig weiter quotieren.

Welche Benchmark Zinssätze sollen stattdessen verwendet werden?

Den LIBOR sollen die Over Night Rates wie EONIA (Euro Overnight Index Average) oder SONIA (Sterling Overnight Index Average) ablösen. In den USA ist eine Treasuries Repo Rate im Gespräch, die ähnlich wie Eonia und Sonia auf tatsächlichen Geschäften basiert.

Eonia und Sonia gibt es schon lange. Mittlerweile basieren sogar schon einige Geschäfte auf die Overnight Rates, und bei der Berechnung von Zinsswaps werden die Overnight Rates bereits standardmäßig herangezogen. Ganz neu ist dem Markt das Konzept also nicht, aber in die breite Masse der Swaps, Anleihen und Kredite haben diese Zinssätze bisher noch keinen Einzug gehalten.

Was passiert mit laufenden Verträgen?

Die große Frage ist nun, was mit laufenden Verträgen passieren soll, die über das Jahr 2021 hinaus laufen.

Die FCA scheint hier bisher nur sehr grobe Ideen zu haben, was man tun könnte, um den Übergang von LIBOR zu den Overnight Rates zu schaffen. Sie nennt als Möglichkeiten die Änderung aller Verträge inklusive entsprechender Abschlagzahlungen oder zusätzlichen Spreads, oder aber die Veränderung der LIBOR Definition in den Dokumenten. Letzere soll dann dazu führen, dass die Overnight Rate mit einem entsprechenden Spread versehen wird.

Beides scheint auf den ersten Blick dramatisch. Die Änderung von unzähligen Veträgen – wir sprechen hier von Zahlen, die möglicherweise in die Millionen gehen! – mit einer Neuberechnung wirkt montrös. Allein der Gedanke dürfte bei allen direkt Betroffenen Herzrasen und Schnappatmung auslösen. Doch auch die Idee, den LIBOR mal einfach schnell umdefinieren zu können, ist nicht durchdacht.

Warum schon 2021?

Die FCA hat sich nach eigenen Angabe mit den Panel Banken unterhalten und festgestellt, dass ein Übergang mindestens vier bis fünf Jahre dauern wird. Sie hat ferner festgestellt, dass Banken erst dann definitiv mit einer Umstellung und der Vorbereitung auf einen Übergang beginnen, wenn es einen fixen Zeitpunkt dafür gibt. Entsprechend sollen die Banken nunmehr gezwungen werden, unmittelbar mit der Ausarbeitung ihrer Übergangspläne zu beginnen. Dadurch erhofft sich die FCA einen möglichst geordneten Übergang.

Wie geht es weiter?

Der Markt wird diese Meldung nun erstmal verdauen müssen. Wie es genau weiter geht, kann derzeit nicht mit Gewissheit gesagt werden. Die FCA beabsichtigt im Gegenzug, die Panel Banken dazu zu bringen, eine freiwillige Verpflichtung einzugehen, bis Ende 2021 weiter für den LIBOR Quotes abzugeben.

Wie der Übergang vor allem beim Bestandsgeschäft („legacy trades“) weiter gehen wird, darüber werden sich in den kommenden Monaten und Jahren viele Expertengremien (z.B. der ISDA, der International Swaps and Derivatives Association) Gedanken machen und Empfehlungen abgeben.

Mit Sicherheit kommt auf den gesamten Fixed Income Markt dadurch Einiges an Arbeit und Veränderung zu.