Inflation. Was nützen Aktien, Immobilien, Rohstoffe und Inflationsanleihen? Ein Interview mit dem Inflationsexperten und Diplom-Kfm. Jens Libuda.

 

Herr Libuda, im vorangegangenen Interview haben wir uns darüber unterhalten, ob Inflation nun tatsächlich ein aktuelles Problem ist, und wie Inflation überhaupt zustande kommt. Heute wollen wir über konkrete Produkte sprechen, die der Finanzmarkt für Investoren bereit hält.

 

Aus Sicht eines Investors: Was kann ich machen, um mich gegen Inflation
zu schützen?

Normalerweise ist die Antwort ja die klassische Dreifaltigkeit: Rohstoffe, Aktien, Immobilien. Ich fange mal mit dem Thema Immobilien an, die ich hier am kritischsten sehen. Die Preise scheinen  hier vor allem in Ballungsräumen bereits überhitzt, und sogar eine Blasenbildung ist hier und da zu deutlich zu erkennen. Zudem haben Immobilieninvestments die klassischen Nachteile von hohen Transaktionskosten, geringer Fungibilität, niedriger Rendite, eine hohe Duration, hohes Klumpenrisiko, und eben die Immobilität selbst. Einer Erhöhung der Steuern auf Immoblien entkommen Sie schlicht nicht. Versuchen Sie mal, sich eine Wohnung unter den Arm zu klemmen, um bei einer exzessiven Besteuerung mit ihrem Vermögen auszuwuandern. Hinzu kommt noch, wie Harald Schmidt so treffend formulierte, das typische Belegabheften am Wochenende und Ärger mit Mietern.

Was ist mit Rohstoffen?

Rohstoffe – im wesentlichen dann ja Gold – mag okay sein, allerdings werfen sie keine Rendite ab und die Lagerung verursacht traditionell Kosten. Außerdem bleibt zu berücksichtigen, dass Rohstoffmärkte meist eigenen Regeln folgen, die für Außenstehende schwer durchschaubar sind. Wenn die Londoner Rohstoff Analysten meiner Bank zum Gold regelmäßig geschrieben haben, dass wegen des hinduistischen Diwali-Festes mit einer anziehenden Goldnachfrage zu rechnen sei, habe ich mich zum Beispiel immer gefragt, ob ein religiöses Fest tatsächlich so einen entscheidenden Einfluss auf den weltweiten Goldpreis hat – zumal die Produzenten so etwas ja auch entsprechend antizipieren könnten. Aber das ist eben sehr typisch für die meisten Commodity Märkte.

Nun fehlen uns noch die Aktien. Wie steht es damit?

Aktien halte ich für die unkomplizierteste der drei Alternativen. Mitunter suchen Analysten, die sich vor Inflation schützen wollen, nach Aktien von Unternehmen mit hohem Verschuldungsgrad, da man davon ausgeht, dass die Inflation einen besonders hohen Entlastungseffekt auf die ausstehenden Nominalverbindlichkeiten hat.

Und sonst? Gibt es noch weitere Finanzprodukte, mit denen ich mich gegen Inflation absichern kann?

Neben diesen traditionellen Möglichkeiten gibt es natürlich noch Inflationsanleihen. Ich hatte ja eingangs bereits die US-amerikanischen “TIPS” erwähnt – das sind “Treasury Inflation Protected Securities”, also Staatsanleihen, deren Kupon- und Tilgungszahlungen inflationsadjustiert fließen. Steigt der Preisindex so steigen auch die laufenden Kuponzahlungen und die Tilgung. Solche Staatsanleihen werden mittlerweile von vielen Ländern emittiert, auch von der Bundesrepublik, Frankreich und dem Vereinigten Königreich.

Inflationsanleihe ist nun aber nicht gleich Inflationsanleihe. Hier gibt
es große Unterschiede. Können Sie uns diese kurz erklären?

In der Tat – der Hauptunterschied ist natürlich, dass diesen Anleihen unterschiedliche Preisindizes zugrunde liegen: Die US-amerikanischen TIPS zahlen in Abhängigkeit vom sog. CPI-U, einem Preisindex, der die Dollar-Inflation misst. Die meisten europäischen Anleihen – darunter die Anleihen der Bundesrepublik – zahlen in Abhängigkeit vom harmonisierten Verbraucherpreisindex der Eurozone – “ex Tobacco” wie es so schön heißt. Preissteigerungen für Tabakpreise werden also herausgerechnet – eine Besonderheit, die auf die französischen Inflationsanleihen zurückgeht. Diese von rührender Sorge um die Gesundheit der Anleger getragene Idee kam dem französischen Finanzminsterium nebenbei bemerkt just, nachdem man 1999 mit der Privatisierung der staatliche Tabakgesellschaft “Seita” Kasse gemacht hatte. Aber ob mit oder ohne Tabak spielt eigentlich keine Rolle: Wesentlich ist, dass sie bei Erwerb einer Inflationsanleihe einen Ausgleichsanspruch gegen die gesamteuropäische Inflationsrate erwerben und nicht etwa gegen die Bundesdeutsche.

Der Preisindex, auf den sich europäische inflationsindexierte Anleihen beziehen, passt also nicht zur deutschen Inflationsrate?

Jedenfalls nicht perfekt. Der pan-europäische Index unterliegt ganz anderen saisonalen Schwankungen als der bundesdeutsche Verbraucherpeisindex. Das ist insbesondere bei kurzfristigeren Anlagen bedeutend. Wenn man die monatlichen Änderungsraten beider Indices vergleicht, kommt man gerade mal auf eine Korrelation von 60%. Die Veränderungsraten gegenüber Vorjahresmonaten, die dann ja keine Saisoneffekte enthalten, sind allerdings mit über 90% korreliert. Wer eine solche Anleihe als Inflationsschutz kaufen möchte, sollte also einen Anlagehorizont von mehreren Jahren haben, damit der saisonale Versatz zwischen beiden Indizes eine möglichst geringe Rolle spielt.

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der oft nicht beachtet wird. Oftmals versuchen die Investoren, ein Vermögen für ein ganz bestimmtes Projekt inflationsgeschützt aufzubauen. Nehmen Sie mal an, Oma und Opa legen jedes Jahr 100 EUR auf die hohe Kante. Dieses Vermögen soll in 20 Jahren die Studiengebühren ihres Enkelkindes bezahlen. Ich habe mal in meinen Akten gekramt und noch einen Immatrikulationsbeleg meiner Alma Mater gefunden: 2003 betrug die Einschreibegebühr für ein Semester 111 EUR. Heute beläuft sich diese Rückmeldegebühr für das laufende Semester auf stolze 280 EUR. Das macht überschlägig runde 7% Steigerung pro Jahr – das bekommen Sie mit keiner inflationsindexierten Anleihe hin. Wie gesagt, immer dort, wo man es mit administrierten Preisen zu tun hat, wird es eng.

Was ist mit Inflationszertifikaten, die von Banken angeboten werden?

Gut, dass Sie die erwähnen. Natürlich wird der Anlageberater der Bank Ihres Vertrauens  Ihnen ein Inflationszertifikat der Bank anbieten, wenn Sie ihn nach inflationsgeschützten Anleihen fragen. Denn an diesem Zertifikat verdient die Bank deutlich mehr als am Handel mit inflationsgeschützten Bundesanleihen. Die Provisionen für bankeigene Inflationszertifikate belaufen sich häufig auf bis zu 1%.
Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass die Zertifikate vor Fälligkeit nur an die Bank veräußert werden können. Zwar können sie auch an Börsen wie der Euwax gehandelt werden – aber die Gegenseite ist dann meist die Bank, weil diese Zertifikate ansonsten viel zu geringe Volumina haben, um eine selbstgetragene Liquidiät zu entwickeln. Meist ist der Rückkaufpreis so, dass sie noch mal 1% zur Mitte verlieren. Es ist ja fast unmöglich, die Geldkurse für solche Zertifikate rechnerisch in Eigenarbeit zu überprüfen.
Hinzu kommt, dass diese Zertifikate Inhaberschuldverschreibungen der Bank darstellen. Damit ist der größte Preistreiber für das Zertifikat oft nicht die Inflationsrate, sondern die Bonität der emittierenden Bank. Die Überraschung und das Unverständnis bei Kunden nach Bonitätsverschlechterungen der Zertifikate-Emittentin ist dann oft groß. Sie können nicht verstehen, dass die Inflation zwar zu Gunsten der Anleger gelaufen ist, sich zwischenzeitlich aber die Bonität der Bank im Zuge einer Krise so verschlechtert hat, dass am Ende der Rückkauf nur noch mit einem Kursverlust für den Kunden möglich ist.
Zwar wurden Zertifikate aus mir unerfindlichen Gründen jüngst vom Gesetzgeber in der Haftungskaskade etwas begünstigt – die grundlegende Problematik aber bleibt bestehen: Wer ein Zertifikat erwirbt, tätigt zunächst einmal eine Wette darauf, dass die Bank auch in der Lage sein wird, ihre Zusagen zu honorieren. Seit Lehman wissen wir, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.

Schließlich machen die meisten Inflationszertifikate so ziemlich alles Mögliche – nur vor Inflation schützen sie den Anleger nicht. Das liegt daran, dass die wichtigste Komponente,  nämlich die Rückzahlung des Nominalbetrags, fast nie inflationsadjustiert wird, sondern lediglich die Kupons. Die sind jedoch praktisch irrelevant: Wenn Sie jemandem 10 Jahre lang 100 EUR leihen, dann ist es am wichtigsten, dass Sie nach 10 Jahren Ihre 100 EUR inflationsadjustiert zurückbekommen. Bei einer Inflationsrate von konstant 2% wären das schon rund 122 EUR. Ob die laufenden Kupons jetzt 1 EUR oder 1,02 oder 1,18 betragen haben, spielt kaum eine Rolle.
Würden Sie persönlich für Ihr eigenes Portfolio eine Inflationsanleihe
kaufen, und wenn ja, welche?
Nein, schon allein deshalb nicht, weil diese Anleihen gegenwärtig mit einer negativen Realrendite handeln. Sehen Sie es doch so: Sie leihen der Bundesrepublik einen Warenkorb, und am Ende der Laufzeit bekommen Sie diesen Warenkorb zurück – aber es fehlen ein paar Dinge darin. Die einzige Möglichkeit, mit solchen Anleihen noch einen Gewinn zu erzielen bestünde darin, dass die Renditen noch weiter ins Negative nachgeben und Sie die Anleihe dann vor Fälligkeit losschlagen. Diese absurde Konstellation ist eine weitere Folge der “Euro-Rettungsmaßnahmen” der EZB. Aber egal weshalb – eigentlich sind inflationsindexierte Bundesanleihen eines der wenigen Finanzinstrumente, mit denen Sie zur Zeit einen garantierten Verlust einspielen können, wenn Sie sie tatsächlich bis zum Ende halten.

Aber auch unabhängig davon habe ich bei diesen Anleihen immer einen Konstruktionsmangel gesehen. Mit diesen Papieren können Sie in der Theorie Geld verdienen, wenn sich dauerhaft unerwartet hohe Inflationsraten einstellen. Nur würde diese Inflation ja von derselben Regierung erzeugt, die Ihnen auch verspricht, Ihre Anleihe inflationsadjustiert zurückzuzahlen. Und da stellt sich mir halt die Frage, was ein Zahlungsversprechen einer Regierung wert ist, die offenbar kein Problem damit hat, die eigene Bevölkerung durch hohe Inflationsraten zu schädigen. Der Widerspruch in der Konstruktion besteht darin, dass das Zahlungsversprechen eines Emittenten erst dann an Wert gewinnt, wenn er durch Zulassung einer hohen Inflation gezeigt hat, dass er nicht viel auf seine Versprechen gibt. Das ist meines Erachtens einer der Gründe, weshalb das in der Bundesrepublik lange herrschende “Indexierungsverbot” gar nicht so abwegig war. Bis zur Euro-Einführung war in Deutschland die vertragliche Kopplung zukünftiger Zahlungsverpflichtungen an die Inflation generell verboten.

Ein weiteres Problem in diesem Kontext ist die Tatsache, dass der Preisindex, an dem die staatlichen Zahlungspflichten für die Inflationsanleihen hängen, auch von einer staatlich getragenen Behörde ermittelt wird. Für den Referenzindex der meisten europäischen Inflationsanleihen ist die in Luxemburg ansässige Eurostat-Behörde verantwortlich, die direkt der EU-Kommission untersteht.

Warum kaufen Investoren dann trotzdem Inflationsanleihen?

Ökonomisch gibt es für mich bislang eigentlich nur einen lupenreinen Grund, solche inflationsgeschützten Anleihen zu kaufen – und der ist aufgrund ihrer steuerlichen Struktur. Ich hatte ja erwähnt, dass der “Schwerpunkt” der Zahlungsstöme solcher Anleihen auf der Rückzahlung des inflationsadjustierten Nominalbetrags liegt und die Kupons eigentlich uninteressant sind. In meiner Zeit als Händler habe ich mir solche Anleihen oft als sogenannte Nullkupon-Anleihen vorgestellt: Sie kaufen heute eine Anleihe, erhalten 10 Jahre nichts und bekommen nach 10 Jahren das Nominal mit sämtlichen Zinsen und Zinseszinsen in einem Schuss zurückbezahlt. Sowohl bei den inflationsgeschützten als auch bei den Nullkuponanleihen behandelt der Fiskus die Schlusszahlung identisch: Die Kapitalgewinne müssen komplett in dem Jahr versteuert werden, in dem sie auch geflossen sind – also zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Anleihe.
Das macht diese Anleihen für Leute interessant, die heute aus ihrer Berufstätigkeit ein hohes Einkommen erzielen, und Kapitalerträge aus heute getätigten Anlagen bis zum Zeitpunkt ihres Ruhestands steuerlich “aufstauen” möchten.

Vielen Dank, Herr Libuda, für das ausgesprochen interessante Gespräch!

Das Interview führte Martina Bahl, Geschäftsführerin von BahlConsult GmbH, Redakteurin der kostenlosen Wissens-Seite http://finanzderivate.info, sowie die Autorin des beliebten Banker-Blogs „Xaviers Blog“ auf kapitalmarktteam.de.